Manhattan (2.Teil)

Der Kellner setzte Naomi, Sandy, Linda und Jules vier Manhattan vor die Nase.

„Warum nennt man einen Cocktail eigentlich nach einem Stadtteil?“, fragte Sandy in die Runde, während sie alle nach ihrem Glas griffen. Statt einer Antwort erhoben die anderen ihre Gläser in die Luft.

„Auf uns!“, verkündete Jules den Prost.

„Auf uns““, stimmten die anderen mit ein. Dann klirrten sie nacheinander gegenseitig ihre Gläser aneinander. Als sie daran nippten, verzog Sandy das Gesicht, wohingegen Jules und Naomi begeistert lächelten, während Linda undurchdringlich trank.

„Der schmeckt wirklich lecker“, stellte Naomi fest.

„Genauso lecker wie der Kellner?“, neckte Jules sie.

„Den habe ich noch nicht probiert“, schmollte Naomi.

„Du lässt doch sonst nichts anbrennen“, kommentierte Linda feststellend in die Runde.

„Ihr tut so, als würde ich jede Woche mit einem Typen schlafen“, rief Naomi empört.

„Entschuldigung, es sind nur alle zwei Wochen“, gab Linda zurück. Jules und Sandy fingen an zu lachen, während Naomi theatralisch die Hände in die Luft hob.

„Also wirklich!“, gab Naomi beleidigt von sich. Doch ein kleines Lächeln, welches ihre Lippen umspielte, verriet ihnen, dass sie den wahren Kern von Lindas Aussage durchaus anerkannte.

„Ich finde den Cocktail ekelhaft“, gab Sandy nach einem weiteren Schluck von ihrem Manhattan von sich.

„Machst du Witze? Der ist super lecker“, widersprach Linda. Sandy schob den Cocktail in ihre Richtung.

„Wenn du willst, kannst du ihn ja gerne trinken“, bot Sandy an. Linda zog ohne zu Zögern den Cocktail zu sich und stellten ihn griffbereit neben den ihren.

„Wie läuft es eigentlich mit Jack?“, fragte Sandy Linda.

„Der ist mal wieder beschäftig. Gerade ist er für drei Wochen in Botswana“, gab Linda von sich, während sie versuchte ihre Verletztheit mit ihrer Coolheit zu überspielen. Doch die drei Freundinnen kannten Linda zu gut, um zu wissen, wie sehr die Abwesenheit ihres Freundes Jacks sie traf. Als Reporter flog er ständig für seine Berichte um die halbe Welt. Während dieser Zeit fühlte sich Linda immer wieder einsam und allein gelassen, auch wenn sie wusste, dass er zurückkam.

„Tut mir leid“, sagte Sandy mitleidig. Linda hob abwehrend die Hand.

„Wie läuft denn dein Job?“, versuchte Naomi das Thema zu wechseln.

„Letzte Woche hat ein neuer Mitarbeiter angefangen. Max“ erzählte Linda. Sie arbeitete ebenfalls in der Fernsehbranche bei einem berühmten Sender, wie ihr Freund Jack. Nur, dass sie hinter den Kulissen die Texte schrieb und meistens vor Ort blieb.

„Wer ist denn dieser Max?“, fragte Jules betont neugierig.

„Max ist ein gutaussehender Neuling mit einer wundervollen Verlobten“, erklärte Linda nüchtern.

„Und trotzdem erzählst du uns von ihm“, beobachtete Jules sie.

„Darf man etwa nicht mal anmerken, dass man jemanden gutaussehend findet, nur weil man vergeben ist. Ich würde ja nie etwas mit ihm anfangen“, verteidigte sich Linda.

„Wo sie Recht hat, hat sie Recht“, stellte Sandy fest.

„Und bei euch Sandy und Jules? Bei dir, Naomi, muss ich ja gar nicht erst fragen.“

„Bei mir alles beim Alten. Hoffnungslose Single-Romantikerin sucht wahre und große Liebe“, verkündete Sandy übertrieben schwärmerisch.

„Ich bin nicht interessiert“, tat Jules desinteressiert ab. Die drei Freundinnen hatten Jules noch nie in einer Beziehung gesehen und auch sonst hielt sie sich mit ihrem Liebesleben bedeckt. Im Gegensatz zu den anderen.

„Auf die Liebe!“, prostete Sandy in die Luft.

„Auf den Sex!“, prostete Naomi ihnen entgegen.

„Ihr habt wirklich Probleme“, kommentierte Jules augenverdrehend. Dann tranken Jules und Naomi jeweils genüsslich ihre Manhattan aus, während sich Sandy eine Cola nachbestellte und Linda bereits ihren zweiten Manhattan wegkippte.

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Sex on the Beach (1. Teil)

Als Jules, Naomi, Linda und Sandy das erste Mal an einem Tisch, der neuen Cocktailbar Highlight in ihrer Stadt saßen, ahnten sie nicht, wie viele Abende sie noch nie hier verbringen würden. Der Kellner brachte ihnen allen einen Sex on the Beach. Ihr erster Cocktail an diesem Abend.
„Was für ein süßes Kerlchen!“, staunte Naomi, nachdem dieser wieder in der Küche verschwunden war.

„Das wundert mich nicht im Geringsten“, kommentierte Linda augenverdrehend.

„Ich stelle nur fest“, verteidigte sich Naomi.

„Du meinst, du stellst fest, dass der arme Kerl die Nacht nicht heil überstehen wird“, lachte Jules. Naomi erhob protestierend die Hand.

„Tu nicht so, wir kennen dein dunkelstes Geheimnis. Aber wir haben dich trotzdem lieb, Männerfresserin“, warf Sandy scherzhaft ein.

„Wie kommt ihr bloß darauf?“, fragte Naomi mit gespielter Unschuld. Alle vier mussten lachen. „Ich bin so froh, dass wir wieder einen Mädelsabend machen. Das hat mir so gefehlt.“ Sandy war gerade frisch getrennt und genoss die einhergehende Freiheit eines Singles nach einer toxischen Beziehung.

„Wir haben uns viel zu lange nicht gesehen. Vor allem nachdem Michael dich in Ketten gelegt hatte. Gut, dass du dich daraus endlich befreit hast“, stellte Linda fest.

„Auf die Freiheit!“, prostete Jules den anderen entgegen. Die anderen erhoben ihre Cocktails und stießen gemeinsam an. Dabei schauten sie sich tief in die Augen, während ihre Gläser laut aneinander klirrten.

„Hey, Naomi! Du hast mir nicht richtig in die Augen geschaut. Du weißt, was das heißt. Sieben Jahre schlechter Sex“, schnaubte Sandy ihr entgegen.

„Armer Kellner“, stellte Jules mitleidig fest. Die anderen fielen in lautes Gelächter ein. Ein paar Gäste schauten irritiert an ihren Tisch, aber sie bemerkten es nicht einmal. Dafür hatten sie viel zu viel Spaß.

Sie nippten alle einen Schluck an ihren Cocktails.

„Mhm“, schlürfte Sandy genießerisch.

„Gute Mische“, bewertete Linda.

„Wir sollten immer hierhin kommen“, schlug Jules vor.

„Aber dann kann ich den Kellner gar nicht vernaschen“, wandte Naomi empört ein.

„Wie wäre es, wenn wir uns jeden Freitag hier treffen und gemeinsam einen neuen Cocktail von der Karte ausprobieren?“, überging Sandy begeistert Naomis Kommentar.

„Und wenn wir alle durchhaben?“, fragte Linda nüchtern.

„Dann fangen wir eben noch einmal von vorne an“, erwiderte Sandy.

„Abgemacht“, hielt Jules fest. Erneut hielt sie ihr Glas hoch. Sie prosteten noch einmal an, um ihre Abmachung zu besiegeln. Dann tranken sie ihren Sex on the Beach weiter.

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Zwischen Liebe und Zeit – 1. Teil

Ben hatte als Historiker des zweiundzwanzigsten Jahrhunderts schon viele Leben rekonstruiert. Leben von großen Politikern, die zum Zeitpunkt ihres Karrierehochs das Weltgeschehen aktiv mitgestalteten. Leben von Künstlern, die mit ihren Werken ganze Massen begeisterten. Leben von unscheinbaren Leuten, deren Leben er lückenlos dokumentierte. Doch keines dieser Leben hatte ihn so in den Bann gezogen, wie das von Sara Wittgenstein. Als er das erste Mal ihr Foto über den Bildschirm aufflackern sah, spürte er das erste Mal in seinem Leben ein lautes Hämmern gegen seine Brust. Er wusste vorher nicht mal, dass es dieses Gefühl gab. Natürlich hatte er schon mal davon gehört, konnte es sich jedoch nie vorstellen bis zu dem Moment, in dem er ihr Foto sah. Ihr Lächeln überstrahlte das ganze Bild. Ihr braunes Haar fiel leicht über ihre Schultern. Am Rande ihres Gesichtes befand sich ein kleiner, unauffälliger Leberfleck, den Ben neugierig studierte. Es war ein Schönheitsfleck, der sie in seinen Augen zu etwas Besonderem machte. So einen hatte er vorher noch nie zuvor gesehen, wenn auch gehört.

Er suchte alle Informationen zusammen, die er über Sara besaß, bevor er sich an seine Arbeit machte. Sara Wittgenstein starb am 3. September 2081 im Alter von neunundachtzig Jahren. An diesem Tag fand eine Sonnenfinsternis statt. Sie hinterließ keine Nachkommen oder Verwandten. Ihre größte Hinterlassenschaft waren ihre zahlreichen Fotos. Sara war den größten Teil ihres Lebens Fotografin gewesen. Sie hinterließ ihre Initialen in jedes ihrer Bilder. Es war ein Kunstwerk, jedes Bild für sich. Manche zeigten Gegenstände, andere nichts weiter als verschwommene Strukturen. Linien, dessen Farben miteinander kontrastierten. Muster, die in ein Bild verliefen. Ben erkannte, wie sie die Welt sah. Ihre Bilder zeigten ihre Sicht auf die Dinge. In ihren Bildern spiegelte sich ein Stückchen Sara wieder. In einem im wahrsten Sinne des Wortes. Sie stand mit ihrer Kamera vor einem Spiegel und fotografierte sich zusammen mit ihrer Kamera. In dieser Phase des Lebens trug sie kürzere, dunkle Haare, ihre Lippen in einem tiefen, knalligen Rot geschminkt, der ihre helle Haut zur Geltung brachte. Es war eine bereits gereifte Sara. Auf dem ersten Foto strahlte ihre Jugend noch hervor, auch wenn sie sich vermutlich in den zwanziger Jahren ihres Lebens befand, zeichnete sie dort noch etwas leichtes, unbeschwertes ab. Als wäre ihre Geschichte noch nicht geschrieben. Und in ihrer Chronik ließ sich ablesen, dass der Großteil ihres Lebens tatsächlich noch nicht eingetreten war. Die junge Sara wusste zu diesem Zeitpunkt nicht, was für ein Leben sie erwartete. Die ältere Sara hingegen wusste es, als sie ihren Bürojob als Steuerberaterin aufgab, um sich ihren Lebenstraum zu verwirklichen: Fotografin. Sie bereiste Orte von denen Ben bis dato nicht mal wusste, dass sie existierten. Sara erreichte alles, wovon er nicht mal zu träumen wagte. Sie ging los, nur mit ihrer Kamera in der Hand, bereiste die Strände von Fidschi, die zu seinen Lebzeiten schon versunken waren. Sie stand auf Bergen in den Alpen, deren Spitzen von Schnee bedeckt waren. Schnee, der Jahrhunderte dort lag und heute längst weggeschmolzen war. In ihrer Chronik befand sich seine tiefste Sehnsucht, von der er vorher nicht mal wusste, dass er sie besaß. Er bemerkte nicht mal wie Zeit verging. Saras Fotos, die sie hinterlassen hatte, hypnotisierten ihn. Er konnte sein Blick nicht von ihr abwenden. Er kam immer wieder an ihrem ersten Bild an. Wer dieses Bild wohl machte? Wenn er es gewesen wäre, wäre dies der Moment gewesen, in dem er sich hoffnungslos in sie verliebte hätte. Denn das tat er. Er sah ihr strahlendes Lächeln. Es ließ ihn nicht mehr los. Das Klingeln seines Mikrochips brachte ihn zurück in die Gegenwart. Als er seinen Blick von dem Bildschirm abwendete, flirrte immer noch Saras Bild vor seinen Augen rum.

„Hallo?“ Ben hörte sich an, als hätte er heute zum ersten Mal die Erde betreten.

„Hi, Ben. Hier ist Nora. Du denkst doch an unsere Verabredung mit Derik im Café? Du hattest noch kein Häkchen gegeben.“ Nora, seine Arbeitskollegin und beste Freundin, fragte ihn und Derik, Bens bester Freund aus Schulzeiten, nach einem Treffen im Café. Ben dachte an Sara.

„Natürlich. Aber es kann bei mir später werden. Wartet nicht auf mich.“ Dann legte er auf, um Sara wieder seine Aufmerksamkeit zu schenken. Unwillkürlich kreiste sein ganzes Sein um sie. Ihre Gravitation zog ihn in eine elliptische Bahn um sie herum. So fing alles an.


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Das Ass der Kelche/ Die Königin der Kelche (19. Teil) -Reprise

Lizzy musste kurz die Augen zukneifen, als das Scheinwerferlicht sie blendete. Sie atmete einen tiefen Atemzug ein. Dann legte sie los.

Die letzten Monate waren nur so im Flug vergangen. Nach dem Gespräch mit Patty, ließ sie die Frage nicht mehr los. Was wollte sie wirklich?

Es waren keine drei Tage vergangen, da wachte sie auf und wusste, was zu tun war.  Sie verkaufte das Fitzgerald. Tammy und Olaf lebten fortan in ihrer Wohnung. Obwohl sie nicht mehr von so vielen Gästen verwöhnt wurden, fühlten sie sich bei Lizzy pudelwohl. Zwischendurch kam Patty sie besuchen und gab den beiden eine reine Wohlfühlkur.

„Ich werde im nächsten Jahr viel unterwegs sein und kann die beiden nicht mitnehmen. Könnte ich sie in deiner Obhut lassen?“, fragte Lizzy Patty. Es tat ihr zwar im Herzen weh, die beiden nicht bei sich zu haben, aber sie wusste, dass Patty sie verwöhnen würde. Die beiden liebten Patty bedingungslos. Und auch Pattys Augen fingen an zu leuchten.

„Nichts lieber als das.“ Lizzy musste lächeln.

„Du meintest am Telefon, du musst mir etwas erzählen.“ Patty hatte ganz aufgeregt geklungen, was für sie ganz untypisch war.

„Ebenso wie du. Aber gut, dann fang ich an.“ Patty machte eine kurze Pause, während sie unentwegt lächelte.

„Ich bin Richard vor ein paar Wochen begegnet“, eröffnete sie ihr.

„Richard? Du meinst deine erste Liebe, die du nie wiedergesehen hast?“, fragte Lizzy erstaunt.

„Genau der. Wir haben uns seitdem öfters getroffen und es ist wie früher. Wir haben uns zwar verändert, aber die Gefühle sind geblieben. Das erste Mal seit damals, fühle ich mich wieder vollständig.“ Lizzy spürte eine Freudenträne aufkommen.

„Patty, das freut mich so sehr. Von ganzem Herzen. Du verdienst es!“ Sie nahm Patty überschwänglich in den Arm.

„Danke!“ Nach einer längeren Umarmung, lösten sie sich wieder voneinander.

„Aber jetzt zu dir. Was sind deine großen Neuigkeiten?“, hakte Patty nach.

„Ich habe die Rolle bekommen“, platzte es Lizzy vor Aufregung raus. Sie hatte die letzten Wochen damit verbracht von einem Casting zum anderen laufen. Sie wusste, Musicaldarstellerin war nicht ein dämlicher Kindheitstraum. Es war ein Teil von ihr. Und als sie sich für die verschiedene Rollen bewarb, verliebte sie sich sofort in eine Rolle.

„Ich spiele die Hauptrolle in Grease. Sandy!“ Sie strahlte über das ganze Gesicht und führte vor Patty einen kurzen Freudentanz auf.

„Das ist wunderbar. Ich wusste, dass noch etwas anderes in dir steckt. Etwas, was du vor der Welt verborgen hast.“ Sie umarmten sich wieder.

„Ich kann es kaum glauben.“ Lizzy war ganz außer sich. Das erste Mal fühlte sie sich von ganzem Herzen glücklich.

„Du wirst großartig sein. Ich hoffe doch, ich kann auch bei einer Vorstellung dabei sein?“

„Natürlich.“ Lizzy musste lachen.

„Aber Marco spielt nicht zufällig Danny?“ Plötzlich wurde es ruhig zwischen ihnen. Sie haben seit dem Tag im Café nicht mehr über ihn gesprochen. Er ist in Lizzys Gedankenwelt immer mehr in den Hintergrund gerückt und war kaum noch präsent. Doch als Patty seinen Namen aussprach, versetzte es Lizzy einen Stich.

„Tut mir leid. Es ist nur… er und John Travolta sehen sich wirklich zum Verwechseln ähnlich, nicht?“ Lizzy zuckte nur mit den Schultern und Patty erwähnte ihn von da an nicht mehr.

Den Großteil der Zeit verbrachte Lizzy damit zu Proben. Sie hatte keinerlei Ausbildung genossen, sodass ihre Aufnahme in der Musical-Show für sie einem Wunder gleichkam. Aber sie arbeitete länger, als alle anderen an ihrer Choreographie. Ihr Schauspielkollege, der die Rolle des Dannys besetzte, sah weder aus wie Marco und auch seine Ähnlichkeit zu John Travolta ließ zu wünschen übrig. Trotzdem hatte er einen Charme, sodass ihm die Frauenherzen zufliegen, wenn er auf der Bühne mit ihr performen würde. Das wusste sie.

Für einen kurzen Moment stellte sie sich vor, die Performanz zu You’re The One That I Want mit Marco zu singen und zu tanzen. Doch sie schob den Gedanken beiseite und fing an sich auf sich selbst zu fokussieren.

Es kam die Premiere. Patty saß zwischen den Hunderten von Menschen im Publikum und sie alle starrten auf die Bühne, wo sie nun stand. Ihr Herz klopfte wild umher. Dann erklangen die ersten Töne. Sie setzte den ersten Schritt ihrer Choreographie an und vergaß alles um sich herum.

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Die Sieben der Schwerter/ Die Zwei der Münzen (18. Teil)

Marco meldete sich nicht mehr. Die Wochen zogen nur so an Lizzy vorbei, ohne dass etwas Nennenswertes passierte. Sie war in der elliptischen Blase gefangen, die nicht platzen wollte.

Obwohl sie gesagt hatte, er solle gehen und sie in Ruhe lassen, war in ihr die leise Hoffnung, die ihr zuflüsterte, er würde zu ihr zurückkommen. Doch es blieb nur ihre geheime Wunschvorstellung.

Es war ein Montagmorgen, über drei Wochen waren bereits seit jenem Tag vergangen, als sie ihm auf der Straße begegnete. Er lief direkt an ihr vorbei, doch sein Blick war auf den Boden gerichtet, während sie ihn anschaute. Wortlos gingen sie aneinander vorbei.

Als sie anschließend versuchte das Café aufzuschließen, zitterten ihre Hände so sehr, dass sie drei Anläufe brauchte bis der Schlüssel im Schloss steckte. Das Café war leer. Nur Tammy und Olaf spielten miteinander rum. Lizzy zwang sich zu einem Lächeln, doch es fühlte sich auf ihren Lippen falsch an.

Gina nahm ihr den Großteil der Arbeit ab, da Lizzy kaum einen klaren Gedanken fassen konnte.

Am Mittag trat Patty in den Laden. Sie sah wie verwirrt Lizzy an der Theke stand.

„Setz dich zu mir, Kleines“, sagte Patty, während sie auf einem gemütlichen Sessel Platz nahm. Lizzy musste lächeln.

„Also als Kleines würde ich mich wirklich nicht bezeichnen“, kommentierte Lizzy. Dann setzte sie sich auf den Sessel neben ihr.

„Du hast ihn gesehen, stimmts?“, fragte Patty wohlwissend. Lizzy nickte.

„Und wie fühlst du dich?“, fragte sie weiter.

„Wie die untergegangene Titanic“, griff Lizzy Ginas Metaphorik wieder auf. Patty musste lachen.

„Das hört sich ja sehr dramatisch an.“ Lizzy schaute sie fragend an.

„Was möchtest du?“, fragte Patty sie.

„Ihn“, gab Lizzy zu.

„Nein, ich meine, was möchtest du vom Leben?“ Lizzy dachte nach.

„Worauf möchtest du hinaus?“, fragte Lizzy.

„Darauf, was DU wirklich willst. Ich kenne dich nun schon länger, aber du wirkst nie wirklich glücklich. Versteh mich nicht falsch. Du wirkst auch nicht unglücklich. Aber ich sehe dir an, dass du deine Flamme, die dich brennen lässt, noch nicht gefunden hast. Und mit Flamme meine ich keinen Mann.“ Ein eingehendes Schweigen herrschte zwischen ihnen. Lizzy holte tief Luft.

„Als Kind wollte ich immer Musicaldarstellerin werden. Ich weiß noch, wie ich mich an meinen achten Geburtstag als die gute Fee aus Cinderella verkleidet und dieses Lied dazu gesungen habe.“

„Bibbidi-bobbidi-boo“, sang Patty drauf los. Ein nostalgisches Lächeln breitete sich auf Lizzys Mundwinkel aus, während ihr wieder die Haarsträhne ins Gesicht fiel.

„Genau. Meine ganze Familie hat mir dabei zugesehen. Dies war das erste Mal, wo ich wirklich gebrannt habe. Ich habe mir vorgestellt auf einer Bühne zu stehen und der Welt mein Lied zu singen, während ich umhertanze. Es war dämlich.“

„Das ist überhaupt nicht dämlich! Du solltest es machen“, widersprach ihr Patty.

„Es war nur eine Kindheitsfantasie.“

„War es das?“ Patty nippte langsam an ihren entkoffeinierten Kaffee, während Lizzy gedankenverloren aus dem Fenster starrte.

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Die Zwei der Schwerter (17. Teil)

Quelle: A.E.Waite Tarot

Beim Mittagessen blickten sich Lizzy und Marco die ganze Zeit verliebt in die Augen.

„Ich weiß noch, wie ich als Kind immer wieder denselben Film gesehen habe. Ich wollte immer Belle aus Die Schöne und das Biest sein“, erzählte Lizzy ihm.

„Was habe ich mir da für eine Romantikerin angelacht?“, neckte Marco sie.

„Du tust einen auf harte Schale, dabei höre ich genau den weichen, romantischen Herzschlag in dir“, entgegnete sie.

„Da musst du dich verhören. Mein Herz hat schon vor langer Zeit aufgehört für solche Dinge zu schlagen.“ Plötzlich wechselte die Stimmung zwischen ihnen. Ein leichter Stich machte sich in Lizzys Brust bemerkbar.

„Auch nicht für mich?“ Die Frage kam ohne Vorwarnung aus ihr heraus. Sie wünschte, sie hätte sie nicht laut ausgesprochen. Sofort machte sich auf seinem Gesicht Reue breit.

„Tut mir leid. Ich…“, setzte er an.

„Du brauchst mir nichts zu erklären. Ich bin daran schuld. Ich hatte etwas gedacht, was offensichtlich nicht der Fall ist.“ Verstört kramte sie ihr Portemonnaie aus ihrer Tasche heraus und kramte daraus ein paar Geldscheine, die sie auf den Tisch legte.

„Ich muss los“, sagte sie abgehakt, während sie aufstand.

„Lizzy…“, rief Marco ihr hinterher, aber sie war schon aus der Türe herausgestürmt. Sie bemerkte plötzlich den schmierigen Schleier vor ihren Augen und eine Träne, die über ihre Wange lief.

Im Laden streichelte sie die ganze Zeit lethargisch Tammy und starrte dabei die ganze Zeit gegen die Wand. Tammy schmuste lieber, während Olaf lieber spielte. Gina kam zu Lizzy hin und setzte sich neben sie.

„Okay. Also du bist eben mit Marco weggegangen, wie verliebte Zuckerwatte, und keine Stunde später kommst du wieder und siehst aus wie das untergegangen Frack der Titanic“, stellte Gina fest.

„Danke, für diese einprägende Metaphorik“, gab Lizzy nur von sich.

„Was ist passiert?“ Normalerweise hielt Gina immer eine gewisse Distanz zu ihr, aber Lizzy konnte ihren besorgten Tonfall heraushören. Was hieß, dass sie wirklich miserabel aussehen musste.

„Er fühlt nicht dasselbe wie ich.“ Wann hatte sie sich diese Wandfarbe ausgesucht? Es war ein helles, freundliches Gelb, aber jetzt löste es in ihr eine innerliche Aggression aus.

„Das tut mir leid“, gab Gina klein bei. Sie wusste nicht, wie sie ihre Chefin trösten sollte. Nur Tammys glänzendes Fell, über das Lizzy die ganze Zeit streichelte, konnte sie trösten.

Plötzlich öffnete sich die Ladentür. In Ginas Mundwinkel zeichnete sich ein erstauntes Oh ab, bevor sie aufstand und für Marco Platz machte, der hineintrat und auf Lizzy zuging.

„Lizzy, es tut mir leid“, setzte Marco an, doch Lizzy unterbrach ihn sofort.

„Nein, mir tut es leid. Und jetzt geh bitte einfach. Ich möchte dich nicht mehr sehen. Bitte respektiere das.“ Lizzy zwang sich ihm für einen Moment in die Augen zu schauen, bereute es aber sofort, als sie in seine traurigen blauen Augen sah. Der Stich in ihrer Brust wandelte sich in einen stechenden Schmerz. Manche Worte konnten einfach nicht mehr zurückgenommen werden, denn sie verrieten die wahren Gefühle eines Menschen, auch wenn es eine scheinbar nur unüberlegte Aussage war. Doch Lizzy erkannte die Wahrheit dahinter.

Marco holte kurz tief Luft und öffnete seinen Mund, um zum Reden anzusetzen, überlegte es sich dann aber anders. Kurz zögerte er, bevor er sich umdrehte und schließlich das Café verließ.

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Die Neun der Kelche (16. Teil)

Quelle: A.E.Waite Tarot

Lizzy arbeitete den darauffolgenden Tag mit Gina zusammen. Dabei lächelte sie die ganze Zeit.

„Was ist denn mit dir los?“, fragte Gina. Lizzy konnte nicht aufhören zu lächeln, blieb aber ruhig.

„Dann halt nicht, Honigkuchenpferd“, kommentierte Gina. Lizzy streichelte zwischendurch immer wieder Tammy und Olaf und machte mehr Pausen als sie sonst machte. Ihre Gedanken schweiften immer wieder zu dem Kuss mit Marco. Ihre Hände zitterten so sehr, dass ihr fast ein Glas aus der Hand fiel.

Als ihr fast wieder etwas aus der Hand fiel, betrat Patty den Laden und sah ihr bei ihrem beinahe Missgeschick zu. Dabei musste Lizzy jedoch lächeln.

„Da ist jemand aber ganz schön verliebt“, merkte Patty an. Lizzy wurde rot.

„Musst das denn jeder wirklich so sehr betonen?“ Sie verdrehte nervös die Augen.

„Als ich so jung war wie du, war ich auch mal so verliebt wie du“, erzählte ihr Patty mit einem leicht nostalgischen Unterton. Lizzy machte sich schon auf eine ihrer längeren Geschichten bereit.

„Damals lernte ich diesen jungen Gitarristen kennen…“, setzte Patty an. Wie aufs Stichwort öffnete Marco die Ladentür und trat ein. Ihre Rettung. Auch wenn sie Patty lieb hatte, würde sie heute keine längeren Geschichte von ihr folgen können.

Als er vor ihr stehenblieb, putzte sie gerade den Tisch ab, um sich zu beruhigen.

„Hallo, du“, begrüßte er sie. Lizzy versuchte sich langsam auf ihn zuzubewegen, worin sie kläglich versagte.

„Hi“, gab Lizzy einen Hickser heraus, während sie vor ihm stehenblieb.

„Das finde ich so süß an dir“, kommentierte er mit einem Lächeln. Seine meerblauen Augen strahlten sie an.

„Ich dachte mir, wir könnten heute zusammen Mittagessen gehen. Was hältst du davon?“, schlug er vor. Ohne Luft zu holen brachte Lizzy sofort ein Ja hervor.

„Dann hole ich dich später ab“, grinste er sie an. Dann ging er wieder hinaus, die Straße rüber zu seinem Laden. Sie beobachtete ihn dabei, während ihr Herz gegen ihre Brust klopfte.

„Jetzt verstehe ich, was du an diesen Mann findest“, zwinkerte Patty ihr zu, bevor sie Olaf weiterstreichelte, der gemütlich auf ihrem Schoß lag. Lizzy machte sich wieder freudenstrahlend an die Arbeit.

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Die Liebenden (15. Teil)

Quelle: A.E.Waite Tarot

Lizzy stand regungslos dort. Sie erinnerte sich daran, wie sie als Kind einen Unfall mitansehen musste. Ein Jugendlicher lief schnell über die Straße und sah nicht das Auto, welches den haltenden Bus überholte, sodass es von ihm erfasst wurde. Glücklicherweise war das Auto nicht schnell unterwegs gewesen und keiner wurde ernsthaft verletzt. Trotzdem erinnerte sich Lizzy bis heute an dem Moment, wo sich nichts anderes machen konnte, als tatenlos am Rand zuzusehen.

Genauso fühlte sie sich in diesem Moment, als Marcos Frau vor ihr stand und ihr eröffnete, er sei mit ihr verheiratet. Sie konnte nicht reagieren. Tatenlos schaute sie dem weiteren Geschehen zu, ohne eingreifen zu können.

„Kathy, was willst du hier?“  Marco wirkte zwar beherrscht, seine innerliche Wut war jedoch in seiner Stimme herauszuhören. Für eine Sekunde war in Kathys Gesicht ein Ausdruck von Perplexität zu erkennen, bevor sie wieder ihre vorherige Miene aufsetzte.

„Ich habe dich gesehen und wollte einfach mal Hallo sagen“, erklärte Kathy fröhlich. Lizzy erkannte, dass sich unter ihrer aufgesetzten Freundlichkeit etwas anderes verbarg, konnte aber nicht einordnen, was es war.

„Ich möchte, dass du gehst“, stellte Marco klar.

„Dann will ich nicht weiterstören.“ Ihre Fröhlichkeit fing an zu bröckeln. Doch bevor Kathy die Fassung verlieren konnte, hatte sie sich schon umgedreht und ging weg.

Immer noch regungslos saß Lizzy auf der Picknickdecke, ohne ein Wort von sich zu geben. Marco setzte sich zurück zu ihr.

„Wo waren wir stehen geblieben? Bei deiner Lieblingsfarbe, stimmts?“, fing Marco an den Gesprächsfaden wiederaufzunehmen. Mit erstaunten Augen schaute sie ihn an. Einerseits erinnerte er sich trotz der Unterbrechung noch genau an ihre letzten Worte, andererseits versuchte er gerade gekonnt, dem eigentlichen Thema auszuweichen.

„Du bist verheiratet?“, platzte es aus Lizzy heraus. Sie wollte ihn nicht zu irgendetwas drängen und sie hatte kein Recht dazu, irgendwas von ihm zu erwarten. Aber Ehrlichkeit war für sie einer der wichtigsten Eigenschaften bei einer Person, worauf sie besonders viel Wert legte.

„Ja. Es tut mir leid. Ich weiß, ich hätte es sagen sollen, wollte aber nicht gleich mit der Tür ins Haus reinfallen. Ich wollte dich kennenlernen ohne, dass du mich als einen verheirateten Mann siehst.“ Er schaute ihr direkt in die Augen. Unter dem Meerblau schmolz sie dahin.

„Ich hoffe, du verzeihst mir. Kathy und ich sind schon seit über einem halben Jahr getrennt und wohnen seitdem auch nicht mehr zusammen. Die Scheidung läuft gerade noch, aber ist bald durch.“ Er schaute zu Boden. Ihm schien das Thema zu bedrücken.

„Was ist passiert?“ Noch während sie das fragte, merkte sie, wie er sich verschloss und sie beschloss es in dieser Situation auf sich ruhen zu lassen. Schließlich hatten sie gerade ihr erstes Date.

„Ist in Ordnung“, winkte sie gleich wieder ab. Ein kalter Windzug ließ sie kurz erzittern.

„Dir wird kalt“, stellte er fest. Sofort reichte er ihr seine Jacke und legte diese um sie. Sie war dicker, aus Leder. Die Jacke ließ sie sofort wohlig warm werden, was auch an dem angenehmen Geruch der Jacke lag, da, neben dem Leder, sein Geruch an der Jacke hing.

„Ich bring dich gleich gerne nach Hause, wenn du willst.“ Er dachte, er hätte alles kaputt gemacht. Das spürte Lizzy sofort.

„Okay“, sagte sie. Eine wehmütige Schwere machte sich in ihrem Brustkorb breit. Sie wollte noch nicht, dass es endet, wusste aber nicht, was sie sagen oder tun sollte, um die Situation aufzulockern.

Er fing an die Sachen zusammenzupacken. Dann gingen sie zusammen los.

Den Weg verbrachten sie größtenteils schweigend nebeneinander.

„Weißt du wann ich dich das erste Mal gesehen habe?“ Lizzy war sich sicher, er würde das Café erwähnen.

„Ich habe dich das erste Mal in dem Café am Bahnhof getroffen. Du warst auch dort, hast mich aber nicht gesehen und ich habe mich nicht getraut dich anzusprechen.“ Sie gingen die dunkle Straße entlang und waren nicht mehr weit von Lizzys Zuhause entfernt. Die Straßenlaternen erleuchteten die dunkle Straße, sodass sie ihn im grellen Licht zwischendurch anschauen konnte. Sein Gesicht wirkte wieder so entspannt, wie zu Beginn des Treffens.

„Danach saß ich drei Wochen hintereinander zur selben Uhrzeit im selben Cafè, aber du warst nicht da. Bis zur vierten Woche. Ich sah dich vom Weitem, tat aber so als wäre ich beschäftigt. Als ich sah, dass du bezahltest, bezahlte ich ebenso, damit ich dir in der Ausgangstür über den Weg laufen konnte. Und das war der Tag, wo auch du mich das erste Mal gesehen hast.“ Inzwischen war Lizzy stehen geblieben, da sie vor ihrem Haus angekommen waren. Ihr Herz klopfte wie wild. Noch nie hatte jemand sich so sehr um sie bemüht. Aber vor allem hatte sie nie jemand so angesehen, wie Marco es tat.

„Warum hast du mich nicht angesprochen?“, fragte Lizzy ihn nervös.

„Weil ich Angst hatte. Die Angst vor einem Nein.“ Er ging einen Schritt auf sie zu. Dann strich er ihr eine Strähne aus dem Gesicht, die ihr ständig ins Gesicht fiel. Sie schaute ihn an und wollte nur noch von ihm geküsst werden. Jede Faser schrie danach. Doch statt sich auf sie zuzubewegen, trat er einen Schritt zurück.

„Es war ein sehr schöner Abend. Wir sollten ihn wiederholen.“ Marco schaute sie liebevoll an, während er sich verabschiedete.

„Das war es. Ein Teil von mir wünscht sich, er wäre noch nicht vorbei.“ Dann umarmte Lizzy ihn kurz und drehte sich schnell um, damit sie nicht dort von ihm stehengelassen würde. Sie wollte gerade einen Schritt in Richtung ihrer Haustür gehen, als jemand sie plötzlich am Handgelenk packte, sie umdrehte und sie an sich ran zog. Sie konnte Marcos warmen Atem an ihren Lippen spüren bis seine Lippen schließlich ihre Lippen trafen.

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Das Stufentreffen

Mandy nahm Trishas Hand und zog sie mit rein. Die kleine Turnhalle war schon voll. Sie erinnerte sich an den früheren Sportunterricht hier. Volleyball war ihr Lieblingssport gewesen. Es war das einzige Mal, wo sie all ihre Klassenkameraden in den Schatten gestellt hatte. Außer die neuen Matten, hatte sich in den zwanzig Jahren seit ihrem Schulabschluss nichts verändert; im Gegenteil, es war noch immer dieselbe alte Turnhalle wie zu ihrer eigenen Schulzeit. Ein prähistorisches Gebäude der siebziger Jahre. An dieser Schule waren Zeitreisen tatsächlich möglich.

Trisha sah durch die Menge und blieb an einigen Gesichtern hängen. Die Menschen waren immer noch dieselben wie früher, nur vom Alter gezeichnet. Sie merkte kaum, wie sie unbewusst die Menge nach einem bestimmten Gesicht absuchte. Mandy zog sie weiter rein.

„Carsten, hier ist Trish. Erinnert ihr euch noch an damals, als du auf Klassenfahrt in der sechsten Klasse versehentlich in der Jungendusche warst und dich Carsten nackt gesehen hatte? Carsten, du hattest die Ehre als erster Junge Trish splitternackt begutachten zu dürfen.“ Mandy hatte sich in der Hinsicht kein Stück verändert; sie war immer schon gnadenlos direkt und hatte Trisha schon in ihrer Jugend in einige, für sie unangenehmen, Situationen gebracht. Carsten schaute leicht errötet an ihr vorbei. An seinem Ringfinger erkannte Trisha ein goldenes Aufblitzen. Sie wusste, es würde nicht der letzte Ehering sein, den sie heute sehen würde. Obwohl ihr aller Leben bis zum Schulabschluss ähnlich verlaufen war, wusste sie, dass ihr Leben danach unterschiedlicher nicht hätte sein können. Sie hatte nie geheiratet und hoffte in ihrem Herzen, dass sie die Frage nach dem Warum heute nicht beantworten würde müssen. Just in diesem Moment kamen Mona und ihre beiden Wackeldackel, die sie seit der Schulzeit offensichtlich behalten hatte, auf sie zu.

„Trish! Dich habe ich ja Ewigkeiten nicht gesehen! Wie schön, dass du hier bist.“ Mona streckte begrüßend ihre Arme aus. Trisha nahm sie nur widerwillig und halbherzlich an. Die Vorstellung mit Mona eine längere Unterhaltung führen zu müssen, ließ sie versteifen. Ihre beiden Wackeldackel waren glücklicherweise nicht so überschwänglich, sondern wackelten einfach nur im Einklang mit ihren Köpfen Trisha entgegen.

„Was hast du so gemacht? Erzähl mir alles!“, wandte sich Mona mit einer aufgesetzten Fröhlichkeit zu ihr. Trisha wollte gerade zum Reden einer nichtssagenden Floskel ansetzen, da rief jemand von der Seite nach Mona.

„Entschuldigung. Ich bin die Mitorganisatorin dieses ganzen Ehemaligentreffens, weshalb man kaum eine ruhige Minute hier hat. Vergiss nicht, was du sagen wolltest, ich komme später wieder.“ Trisha hoffte, dass dieses wage Später nie eintreffen würde. Erleichtert wandte sie sich wieder Mandy zu. Diese war jedoch an das andere Ende der Halle verschwunden, wo sie mit ihrer ehemaligen Lehrerin redete. Trisha stand verloren in der Gegend und wusste nicht, wohin mit sich.

Genau in diesem Moment der Verlorenheit, bekam sie die Person zu Gesicht, dessen Anwesenheit sie befürchtet hatte und gleichzeitig ihr sehnlichster Wunsch war. Er war gerade in einem Gespräch vertieft, als er ihr Blick auf sich ruhen spürte und in ihre Richtung schaute. Als sein Blick sie einfing, verfiel sie in eine Schockstarre. Seine Augen starrten sie direkt an. Trishas Herz klopfte, wie es schon in der achten Klasse angefangen hatte zu Klopfen. Er war bis zu dieser Klassenfahrt nur einer von vielen gewesen, der in eine Parallelklasse ging. Doch als sie in den kalten Schnee gefallen war und er ihr in einen unbeobachteten Augenblick seine Hand gereichtet hatte, war es um sie geschehen. Sie schwärmte immer von ihm, als sie in den Pausen mehr Zeit miteinander verbrachten und er sie nach der Schule ein Stück nach Hause begleitete, bevor sich ihre Nachhausewege trennten. Es war schon eine Gewohnheit geworden mit ihm ein Stück nach Hause zu gehen, als der Tag eintraf, wo er all seinen Mut zusammennahm und ihr gestand, dass er sich in sie verliebt hatte. Trisha war daraufhin nur noch röter als sonst in seiner Gegenwart angelaufen, woraufhin er langsam ein Stück auf sie zutrat und seine Lippen auf die Ihre legte. Er war ihre ganzen ersten Male gewesen: ihr erster Kuss, ihr erster Freund, ihre erste große Liebe. Ein halbes Jahr später war er ihre erste Trennung, ihr erster Liebeskummer, ihr größter Herzschmerz geworden. Die Zeit heilte alle Wunden. Doch in dem Moment, wo sein Blick sie traf, riss ihre größte Wunde wieder auf und traf sie genau wie sein Blick, vollkommen unvorbereitet.

Alle in dieser Halle sahen älter aus, aber in diesem Moment erkannte sie die Motivation hinter einer solchen Veranstaltung. Sie alle wollten eine Zeitreise zurück in eine vergangene Zeit machen. In eine Zeit, in der die Zukunft noch weit entfernt und ein nicht greifbares Konstrukt reiner Vorstellungskraft war. In eine Zeit, in der noch alle Wege möglich schienen. Eine Gegenwartsflucht. Die Gegenwart war die weite entfernte Zukunft von damals. Als Trisha die Menschen in dem Saal ansah, sowie sich selbst, merkte sie, wie sich die Menschen in die Vergangenheit flüchten wollten, nur um nicht erkennen zu müssen, dass sie in der Gegenwart gefangen waren.

Er hörte für einen kurzen Moment auf, sie anzustarren und schaute wieder seinen Gesprächspartner an. Sie nutzte die Sekunde, um sich aus seinem Bann loszulösen. Sie ging zu der aufgestellten Theke mit dem selbst gebackenen Kuchen, welcher von der aktuellen Abschlussklasse der Schule verkauft wurde, womit sie sich ihren Abschlussball finanzierten. Sie kaufte sich ein Stück Käsekuchen und stellte sich gerade in die Ecke, als ihre Schulfreundin Emma sich zu ihr gesellte.

„Total komisch alle wiederzusehen, nicht wahr?“, fragte sie mit einem ehrlichen Lächeln.

„Irgendwie schon. Hat sich nicht viel verändert an der Schule“, stellte Trisha fest. Ihre Füße tippten immer noch leicht nervös auf dem Boden hin und her. Sie zwang sich dazu, Emma anzuschauen, obwohl ihr Unterbewusstsein, die ganze Zeit in eine andere Richtung schauen wollte.

„Mich wundert es, wie viele von den Leuten aus unserer Schulzeit geheiratet haben.“ Emma musste schon immer das Offensichtliche aussprechen. Trisha fragte sich, ob er geheiratet hatte. Sie war zu nervös gewesen, um auf seinen Ringfinger zu achten.

„Darauf habe ich gar nicht geachtet. Wer denn so?“, hakte Trisha nach. Emma zählte ein paar Namen auf, seiner war nicht darunter. Sie wusste nicht, ob sie das erleichterte oder nur noch nervöser machte.

Sie sah aus dem Augenwinkel eine Bewegung auf der aufgebauten Bühne und ein anschließendes Quietschen des Mikrofons, wovon sie sich kurz die Ohren zuhielt. Die Technik war wohl ebenfalls die Gleiche, wie vor zwanzig Jahren.

„Meine verehrten Damen und Herren, ich darf Sie alle recht herzlich Willkommen heißen“, verkündete Mona mit ihren knallrot geschminkten Lippen ins Mikrofon.

„Ich freue mich sehr, dass Sie alle gekommen sind.“ Darauf folgte eine kurze Rede über ihre ehemalige Stufe. Bis sie schließlich zu dem Teil kam, der auf der Einladung stand.

„Für heute haben wir von unserem Veranstaltungsteam deshalb etwas Besonderes überlegt. Wie Sie alle bereits aus der Einladung entnehmen konnten, kommen wir jetzt zu dem spaßigen Teil des Abends. Ich möchte mich schon mal von vornherein an unseren Techniker Hans bedanken, der heute die Karaoke Maschine bedient. Einen herzlichen Applaus für Hans.“ Hans winkte von der Seite in die Menge. Trisha klatschte brav mit. Sie wusste, dass heute Karaoke angesagt war, genauso wie sie wusste, dass sie sich heute vorgenommen hatte, die stille Beobachterin zu sein. Sie war noch nie gerne im Rampenlicht gewesen. Doch heute wünschte sie sich komplett unsichtbar zu sein.

Mona kündigte bereits die erste Freiwillige an. Trisha erkannte Jane, die mit ihren Locken und ihrer Stimmgewalt, während sie sanft auf ihrer Gitarre spielte, noch zwanzig Jahren später in ihrer Erinnerung geblieben war. Sie hörte ihrer wunderschönen Stimme zu, während Trisha die letzten Stücke ihres Kuchens aß.

Von der Seite tauchte plötzlich Mandy auf.

„Gute Nachrichten.“ Mandy grinste sie breit an. „Du bist die Nächste!“ Trisha verschluckte sich an ihrem letzten Kuchenstück, welches sie gerade runterschlucken wollte. Sie hustete ein paar Mal laut auf, woraufhin sie nur noch röter wurde.

„Bitte was?“, fragte sie, während sie nach Luft schnappte.

„Man kann die Leute, die singen sollen, vorne bei Hans eintragen. Da musste ich natürlich sofort an dich denken und unsere tolle Performanz auf Klassenfahrt. Natürlich habe ich das Lied aus deinem aktuellen Lieblingsfilm genommen. Auch wenn ich persönlich mit diesen ganzen Disneylieder nicht wirklich etwas anfangen kann. Aber ich weiß, was für ein großer Fan du bist“, erklärte ihr Mandy. Trisha stand sprachlos da, als Jane gerade ihren wohlverdienten Applaus bekam. Dann wurde Trisha auch schon auf die Bühne gerufen. Doch sie blieb regungslos stehen.

„Trish, komm auf die Bühne“, forderte sie Mona von der Bühne aus auf. Trisha schüttelte wild den Kopf.

„Nein“, sagte sie, doch es ging in dem höflichen Klatschen des Publikums unter. Mandy gab ihr einen Stups nach vorne. Mit weichen Knien ging Trisha auf die Bühne zu. Sie wollte am liebsten gar nicht weitergehen, schien aber keine andere Wahl zu haben. Ihr Blick traf ihn. Er stand etwas weiter weg, woraufhin sie zu Boden schaute, während sie die Bühne betrat.

„Freut uns, Trish. Die Bühne gehört dir“, kündigte Mona an und ließ sie alleine auf der Bühne stehen. Sie stellte sich an das Mikrofon und sah auf den Bildschirm, der am unteren Rand der Bühne platziert wurde, um den Karaoke Text anzuzeigen. Als sie den Titel sah, wusste sie welches Lied Mandy gemeint hatte. Die ersten Töne von Into the Unknown erklangen. Das Lied einer Eiskönigin, die den Ruf einer Stimme hört, diesen jedoch verweigert, weil sie nicht aus ihrer gewohnten Welt ausbrechen möchte bis sie schließlich den Ruf dieser Stimme folgt.

Bei der ersten Strophe war Trisha noch zurückhaltend, doch als der rufende Refrain auf dem Bildschirm aufleuchtete, konnte sie nicht anders. Eine Stimme aus ihrem Herzen fing laut an zu singen. Sie fing an, über die Bühne zu tanzen. Sie sah durch die Turnhalle, die Gesichter und ihr wurde klar, dass die meisten dieser Menschen ihrem Ruf nicht gefolgt waren. Sie wusste es, weil sie selbst dazu gehörte.

Während sie sang, erinnerte sie sich an alles. Wie sie an dieser Schule war und ihr Leben noch ein Traum voller Abenteuer und Reisen war, die sie alle noch erleben würde. Zwanzig Jahre später war der Traum entzaubert worden. Sie hatte nach dem Studium einen Beruf in einer kleinen Tageszeitung, die kaum noch Leser hatte, angenommen. Damals sagte sie sich, es sei nur ein vorläufiger Zwischenstopp für ihre zukünftige Karriereleiter. Heute arbeitete sie immer noch dort. Sie hatte sich nie ins Unbekannte getraut, sondern war lieber ihre gewohnten Bahnen geschwommen. Sie hatte nicht ihren Ängsten getrotzt, sowie die mutige Eiskönigin, die von ihrem Aufbruch sang. Doch in dem Moment, als sie von ganzem Herzen sang und dazu tanzte, während eine ganze Menschenmenge sie anstarrte, traf es sie wie ein Blitz. Sie hatte nichts zu verlieren. Alle in diesem Raum dachten, es sei zu spät. Aber es würde nie zu spät sein. Und als sie die letzte Zeile sang und sich dabei fragte, wie sie dem Ruf ins Unbekannte folgen konnte, kannte sie die Antwort.

Als der Applaus ertönte, steckte sie das Mikrofon zurück in den Halter und lief von der Bühne. Sie sah bereits von dort aus die Türschwelle, die sie überschreiten musste, um auszubrechen. Alles um sie herum, verschwand aus ihrer Wahrnehmung und sie lief zu der Türe, hinaus auf dem Parkplatz, wo ihr kleiner silberner Volvo stand, der nur darauf wartete, sie in ihr Abenteuer zu fahren. Sie ging direkt darauf zu und setzte sich rein. Für einen Augenblick musste sie ihre Gedanken sortieren, um zu begreifen, was sie hier gerade tat. Wo wollte sie hin? Doch sie wusste, dass sie die Antwort erst am Ende ihres Weges erkennen würde. Sie würde sich vom Wind dorthin tragen lassen.

Der Zündschlüssel steckte bereits und sie startete gerade den Motor, als sie ein Klopfen von der rechten Seite hörte. Ein Gesicht tauchte hinter der Scheibe des Beifahrersitzes auf. Dort stand er. Sie ließ mit zittriger Hand das Fenster runter.

„Ich wollte mit dir reden“, verkündete er. Als er so dort stand, kein blitzendes Gold an seinem Ringfinger, wusste sie, dass dies kein Zufall sein konnte. Alles fiel an diesem Tag zusammen.

„Steig ein“, verkündetet sie.

„Was?“ Er wirkte irritiert.

„Ich sagte, steig ein“, wiederholte sie ruhig und schaute ihn dabei nicht an.

„Du fährst aber nicht mit mir weg“, sagte er halb im Scherz, doch in seinem Gesicht war ein besorgter Ausdruck zu erkennen.

„Doch, genau das hatte ich vor.“ Ihre Stimme ließ keinen Platz für Ironie. Diesmal nicht.

„Hör zu, ich weiß nicht, was du vorhast oder wo du mit mir hinwillst, aber ich kann hier nicht weg“, erklärte er, während er immer noch vor dem Fenster stand.

„Warum nicht?“ Sie wusste, dass sie ihren Ruf folgen musste, doch sie wusste auch, dass ihre Reise einen Gefährten brauchte. Und dieser Gefährte hatte soeben gegen ihre Scheibe geklopft.

„Naja, ich bin mir gerade nicht sicher, wo du hinwillst. Ich habe eine Arbeit zu der ich morgen früh erscheinen muss und wenn das, was du vorhast, länger dauert, könnte es etwas spät werden.“

„Liebst du deine Arbeit?“ Die Frage brachte ihn sichtlich durcheinander.

„Wie meinst du das?“

„So wie ich es sage.“ Sie starrte immer noch geradeaus. Während des ganzen Gesprächs, hatte sie ihn kein einziges Mal angeschaut.

„Naja, es ist halt ein Job wie jeder andere. Was spielt das für eine Rolle?“ Jetzt erst blickte sie ihm direkt in die Augen.

„Dann hast du auch nichts zu verlieren. Und jetzt steig ein!“, forderte sie ihn ein letztes Mal auf. Er zögerte kurz, stieg aber schließlich ein.

Dann ließ sie den Motor aufheulen und fuhr los. Dem Unbekannten entgegen.


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Der Stern, Fünf der Schwerter (4.Teil)

Lizzy sah Marco nicht wieder. Statt ihr Scheitern zu beklagen stürzte sie sich auf ihre Businessidee. Der Traum eines eigenen Cafés. Nicht irgendein Café. Es sollte ein Katzen- und Literatur Café werden, indem man neben Büchern aus den Schränken auch Katzen streicheln konnte. Abgerundet würde dieses Erlebnis durch ein leckeres Getränk aus der Speisekarte. Sie würde es Fitzgerald nennen.

Lizzy entwarf gerade ihren Finanzplan. Frustriert legte sie ihn auf die Seite ihres Schreibtisches, der in ihrem Wohnzimmer stand. Sie sah sich dort um und Zweifel kamen auf. Das Geld für die Miete reichte noch für zwei Monate, bevor sie endgültig hier raus musste, wenn sie ihren Traum nicht verwirklicht bekam.

In ihrem alten Job als Flugbegleiterin wurde sie von der ersten Kündigungswelle getroffen. Sie war erst eineinhalb Jahre dort gewesen und somit die Neue, weswegen sie auch von der ersten Stellenkürzung betroffen war.

Als sie ihre Kündigung in der Hand hielt fühlte sie die Sorgen wie ein Ziehen in ihrer Brust. Es wurde von dem Gefühl der Erleichterung übertrumpft. Sie hatte sich nie vorstellen können, dass das für immer ihr Leben sein sollte. Der Grund, warum sie es als Chance sah, um endlich ihren insgeheimen Traum zu verwirklichen.

Natürlich versuchten alle in ihrem Umfeld, ihr den Traum auszureden: Ein Café. Weil es nicht schon genug Cafés gibt. Und dann noch selbstständig. Bei der wirtschaftlichen Lage. Reiner Selbstmord.

Lizzy gab nichts auf diese Stimmen, die von außen auf sie einprasselten. Auch wenn die Stimme ihrer Mutter am lautesten war, die ihr sagte, sie solle doch etwas Vernünftiges machen. Obwohl Lizzy in diesem Moment Zweifel aufkamen, wusste sie, dass sie nur auf eine Stimme hören würde: Ihre innere Stimme. Sie war die einzige Stimme, die ihr Mut zuredete und fest an sie glaubte. Auch wenn es um sie herum keiner tat, so tat sie es in ihrem Inneren.

Als sie vor ihrem Finanzplan saß, in ihrer Wohnung, die sie sich bald nicht mehr leisten konnte, kamen ihr ernsthafte Zweifel auf. Sie zerriss den Plan, holte sich eine Flasche Weißwein und setzte sich auf dem Balkon, um die letzten Sonnenstrahlen des Tages zu genießen, während in ihr ein strömender Regen herrschte.

Jeder Traum beinhaltet auch dessen Scheitern.

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