Schildkröten (2)

Es gibt den einen Moment an den man sich auf seiner Reise klar und deutlich erinnert, auch noch Jahre später, wenn man längst wieder Zuhause war. Mein Tag war, als ich den Schildkröten beim Schlüpfen zusah. Sie schlüpften in großer Stückzahl und es war der Moment, wo etwas gerade lebendig Gewordenes, bereits ihre erste, gefährliche Reise zum Meer hin, antreten mussten. Dieser Augenblick der Freude, wo die kleinen Schildkröten sich aus ihren Eiern kämpften, um schließlich das erste Mal das Licht der Welt zu erblicken, nur um danach ihren Weg über den schutzlosen Strand, wo sie jederzeit von umherfliegenden Vögeln gefressen werden konnten, in die endlose Weite des Meers zu verschwinden und ihre eigentliche Bestimmung anzutreten.

Der Anmut der Schildkröte ist einzigartig. Geht sie doch gemütlich am Strand umher, sofern sie einmal groß geworden ist und lässt sich Zeit mit allem. Sie hetzt nie durch das Leben. An diesem Tag am Strand lernte ich doch so einiges über das Leben selbst. Waren die meisten von uns doch alle kleine Babyschildkröten, die aus Angst von einem Ort zum Nächsten wechselten, während die weisen, älteren Schildkröten ruhig in sich selbst und ihrem Panzer wohnten. Manchmal fühlte ich mich wie eine Babyschildkröte, manchmal fühlte ich mich wie eine weise, alte Schildkröte. Hetzte auch ich manchmal durch das Leben. Doch an diesem Tag hielt ich inne und beobachtete diesen außergewöhnlichen, einzigartigen Anblick der Schildkrötengeburt. Vielleicht sollten wir alle ein bisschen mehr Sicherheit in unserem Panzer namens Leben genießen, um die schönen Augenblicke wahrzunehmen, statt dadurch zu Hetzen und an der Schönheit vorbeizulaufen. Ich für meinen Teil entschied mich an diesen Tag, wie eine anmutige Schildkröte innezuhalten, damit ich die schönen Momente meines Lebens nicht verpasste, nur weil ich von einem Augenblick zum Nächsten lief, ohne mich auch nur mal umzuschauen. Denn einer der wichtigsten Lektionen des Reisens ist, den Weg der Reise zu genießen, statt nur das bloße Ziel vor Augen zu haben. Ansonsten läuft man Gefahr, nur von einem Ort zum Nächsten zu gehen, ohne innezuhalten und die eigentliche Schönheit der Umgebung wahrzunehmen.

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Die Reise

Der Beginn (1)

Am Beginn einer jeden Reise steht das Bedürfnis nach einer Veränderung. Die Tristesse in der sich der Mensch selbst gefangen hält, um ihr anschließend durch eine Reise zu entgehen.

So erging es mir, als ich mit siebenundzwanzig Jahren das erste Mal einen Flughafen von Innen betrachtete. Die laute Hektik um mich herum, verunsicherte mich. Ich starrte auf das Flugticket in meiner Hand. Seychellen. Ein jahrelanger Traum, der nun Wirklichkeit werden sollte. Für insgesamt einen Monat im Voraus, hatte ich ein Haus mit Meerblick und Infinity Pool gebucht. Jeden Tag würde ich von dort aufs Meer blicken und sehen wie die Sonne untergeht. Die Vorstellung zauberte mir ein Lächeln aufs Gesicht. Seit Jahren wünschte ich mir eine tiefgreifende Veränderung und ich hatte jeden Cent zusammengekratzt, doch es reichte nie aus. Erst als mein Buch ein internationaler Bestseller wurde und zahlreiche Preise gewann, konnte ich mir meinen Traum vom Leben im Paradies verwirklichen. Meine Familie und meine beste Freundin begleiteten mich bis zur Flughafenhalle, von dort aus musste ich alleine weiter gehen. Ich würde sie vermissen. Schließlich hatte ich vor länger als einen Monat zu bleiben, auch wenn ich zuerst nur für einen Monatsaufenthalt gemietet hatte. Doch mein Traum war es ein Jahr dort zu leben.

Ich spürte die aufkommende Nervosität, während ich auf das Terminal zuging. Die Aufregung des Unbekannten. So lange verbrachte ich mein Leben an ein und demselben Ort. Ich ließ nie meine Blasen zum Platzen bringen. Die Angst schien mir immer ein Schritt voraus zu sein.

Diesmal war es anders. Der Durst zu leben war zu groß. Ich wollte es in vollen Zügen genießen. Oder in vollen Flügen. Ich wusste nicht, ob ich Angst vor dem Fliegen hatte, schließlich war ich noch nie geflogen. Irgendwas in mir sagte, es würde mir Spaß machen. So verließ ich schließlich nach dem Check-In die Sicherheitsschleuse und trat meine erste richtige Reise an.

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Caipirinha (9.Teil)

Sie nippten an ihren Gläsern. Schluck für Schluck leerten sie die Gläser mit braunen Zucker.

„Also ich weiß nicht“, überlegte Jules laut.

„Die Welt ist zwar verrückt, aber das ist noch kein Grund gleich über das Heiraten und Auswandern zu sprechen“, führte Jules weiter ihre Überlegung aus.  Sandys Eröffnung ihre Internetliebe in zwei Monaten zu heiraten und eventuell auf die iberische Halbinsel auszuwandern, stoß auf eine Protestwelle seitens Jules und Linda.

„Das ist dumm“, sagte Linda direkt zu Sandy. Sandy blickte zu Naomi.

„Und was sagst du dazu?“ Naomi zog ihre rechte, gerade Linie, die eine ihrer Augenbrauen bildete, hoch.

„Ich halte es zwar für genauso bescheuert, wie Linda und Jules, jedoch…“, sie hob ihren Finger hoch und machte eine Pause „bist du genau das. Unsere verrückte, bescheuerte Sandy, die wir alle lieben. Deshalb wollen wir alle nur eins: Dass du glücklich bist.“ Sandy fing an zu strahlen. Sie beugte sich zu Naomi und umarmte sie fest. Naomi riss die Augen auf, wie bei einem Überfall. Danach tätschelte sie ihre Schulter.

„Alles gut. Versprich mir nur, dass du auf dein Herz aufpasst und dich nicht verlierst. Und wenn doch, dann sind wir hier.“ Naomi deutete mit ihrer Hand um sich. Aus dem Augenwinkel konnte sie die feuchten Augen von Sandy erkennen.

„Fang mir jetzt nicht an zu weinen“, protestierte Naomi.

„Nein, nein“, wehrte Sandy mit tränenerstickte Stimme ab.

„Linda, was gibt es eigentlich Neues bei dir?“, wechselte Sandy das Thema. Alle schauten zu Linda rüber, die ganz rot wurde.

„In einer Woche kann ganz schön viel passieren.“ Sie pickte mit ihrem Strohhalm in den Zucker rein, der sich am Glasboden absetzte, bevor sie noch einen Schluck nahm. Die Blicke der Anderen ruhten auf ihr. Sie holte tief Luft.

„Also folgendes ist passiert: Ich habe mich am nächsten Tag mit Max getroffen, so wie ihr es mir auch geraten habt. Er hat mir gestanden, dass er sich in mich verliebt hat und mich versucht hat auf den Kopf zu bekommen, weil ich offensichtlich noch an Jack hänge. Doch mir das zu verschweigen, war das Schlimmste überhaupt. Er meinte, er gebe mir Zeit, darüber nachzudenken. Doch in dem Moment habe ich gemerkt, dass sich mein Herz schon längst entschieden hat. Also bin ich nach Hause gefahren und habe Jack gesagt, es sei endgültig vorbei.“

„Und was ist jetzt mit Max und dir?“ Jules konnte lange Pausen mit Inhaltslücken nicht leiden.

„Wir haben uns gestern getroffen. Ich habe gesagt, was ich für ihn empfinde, doch ich brauche die nächsten Wochen Zeit für mich selbst. Die letzte Zeit war zu viel und ich möchte mich nicht gleich von einer Beziehung in die Nächste stürzen. Er versteht das und gibt mir die Zeit, die ich brauche“, erzählte Linda ihre Geschichte zu Ende.

„Aber das hört sich nicht nach einem Happy End an“, merkte Sandy traurig an.

„Moment“, unterbrach sie Naomi und schaute erwartungsvoll Linda an. Diese verdrehte leicht die Augen.

„Vor euch kann man auch nichts geheim halten. Ja, wir haben uns am Ende noch geküsst“, gab Linda zu. Sandy klatschte in die Hände. Naomi lächelte nur.

„Kann ich euch noch was bringen?“, fragte Juanito, der an ihren Tisch trat und auf ihre leeren Gläser deutete. Seine Föhnfrisur saß perfekt bis auf die eine Strähne, die ihm ins Gesicht fiel. Vergeblich versuchte er sie weg zu pusten.  

„Ich denke für heute haben wir genug“, gab Jules von sich. Die anderen nickten zustimmend. Er fing an, die leeren Gläser aufzusammeln.

„Ihr seid nächste Woche auch da zum großen Karaoke Abend?“, fragte er in die Runde. Sofort schauten sie sich alle lächelnd an.

„Wie könnten wir uns das entgehen lassen“, verkündete Naomi. Als er fertig mit Abräumen war, wandte er sich zu Naomi.

„Und sehen wir uns gleich noch?“, fragte er sie. Die Anderen starrten Naomi an.

„Wie könnte ich mir das entgehen lassen“, lächelte sie ihm zu.

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Flying Kangaroo (8. Teil)

„Ich sehe fliegende Kängurus“, lachte Jules, während Juanito die Cocktails nacheinander vor sie auf den Tisch stellte.

„Bitte nicht noch mehr schlechte Sprüche“, protestierte Linda.

„Was hast du gegen meine Sprüche?“ Mit gespielter Empörung sah Jules in die Runde.

„Sagen wir einfach, wenn man eine Show à la die schlechtesten Sprüche der Welt veranstalten würde, wärst du die erstklassige Gewinnerin“, quittierte Naomi.

„Und bei einer Show, wer kriegt in vierundzwanzig Stunden die meisten Männer ins Bett, wärst du ganz vorne dabei“, konterte Jules.

„Touché.“ Naomi hob ergebend ihre Hände.

„Wie lief es eigentlich mit Max?“, fragte Sandy und schlürfte an ihrem Strohhalm. Linda pickte mit ihrem Strohhalm bloß in ihrem Glas rum.

„Als ich loswollte, um ihn zu treffen, stand Jack vor meiner Türe“, erklärte Linda. Sie starrte dabei gedankenverloren in ihr Glas.

„Und was hast du getan?“, fragte Naomi laut. Linda zuckte mit ihren Schultern zusammen.

„Mit ihm geschlafen“, gestand Linda. Sandy verschluckte sich.

„Also ich habe vorher noch Max abgesagt. Er wirkte nicht gerade begeistert. Ich habe mich mit ihm am nächsten Tag getroffen und die Sache geklärt. Er wollte mir eigentlich sagen, dass er mich gerne näher kennenlernen möchte.“ Linda schaute geradeaus in die Runde.

„Und was ist jetzt mit Jack und dir?“, hakte Naomi weiter nach.

„Wir wollen es noch einmal versuchen. Wobei ich mir nicht sicher bin, ob das wirklich eine gute Idee ist“, zögerte Linda.

„Das ist eine wirklich schlechte Idee“, kommentierte Jules. Alle starrten sie an.

„Naja, Linda hat Jack betrogen, weil er gefüllt nie Zuhause war. Und da er noch immer denselben Job hat, wird sich die Situation wohl nicht wirklich verbessern“, erklärte Jules.

„Ich muss erst einmal darüber nachdenken. Da könnte was dran sein. Er hat mir gestern erzählt, dass er nächsten Monat nach Australien muss und dann mindestens zwei Woche weg sein wird“, meinte Linda und nippt an ihrem Flying Kangaroo. Die Anderen blickten sich gegenseitig vielsagend an.

„Du wirst schon die richtige Entscheidung treffen“, stellte Sandy fest.

„Ich habe übrigens meine zwei ersten selbstgemalten Bilder verkauft“, verkündete Jules. Sandy klatschte begeistert in die Hände.

„Das sind schöne Neuigkeiten. Also geht es voran mit der selbstständigen Künstlerin?“

„Ja, ich habe sogar eine Galeristin gefunden, die an ein paar meiner Werke Interesse gezeigt hat.“ Jules strahlte über das ganze Gesicht. Etwas, dass sie bei ihrem alten Job nie gemacht hat.

„Darauf sollten wir nochmal anstoßen.“ Sandy erhob das Glas und ein vertrautes aneinander Klirren war zu hören.

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Cuba Libre (7.Teil)

„Sandy, Sandy, Sandy“, schnalzte Linda kopfschüttelnd, als sie ihre Cocktails von Juanito vorgesetzt bekamen. Während alle drei einen Cuba Libre vor sich auf den Tisch stehen hatten, war Sandy diejenige, die einen Che Guevara vor sich hingestellt bekam.

„Ihr wisst, dass ich der süße Typ bin. Außerdem habe ich versucht, wenigstens thematisch zu euch zu passen“, verteidigte sich Sandy. Jules hob als Erste ihr Glas.

„Ich würde mal sagen auf uns und auf ein freies Kuba“, sprach Jules ihren Trost des Abends aus. Die anderen erhoben ebenfalls ihr Glas und stießen mit ihr gegenseitig an.

Naomis leopardenmusterlackierten Fingernägel tippten wild an dem Glas ihres Cuba Libres rum, während sie in der Bar Ausschau hielt.

„Was ist denn bei dir los?“, fragte Linda erstaunt. Naomi blickte sie an.

„Ich habe mich letzte Woche, nachdem ihr weg wart, noch mit Juanito unterhalten“, setzte Naomi ihre Erzählung an.

„Wer ist Juanito?“, fragte Jules irritiert.

„Der Kellner, der uns immer die Getränke bringt“, erklärte Naomi.

„Auf jeden Fall habe ich ein bisschen meine Krallen ausgefahren, doch es ließ ihn komplett kalt. Ungebunden und nicht interessiert. Habe ich etwa meinen Charme verloren?“ Sofort schüttelten alle synchron den Kopf. Naomi verdrehte immer alle Männer die Köpfe.

„Dann gibt es nur zwei Erklärungen. Die Erste: er ist homosexuell. Dagegen sprechen jedoch einige Indizien.“

„Was für Indizien?“, fragte Sandy.

„Mein Radar sagt Nein. Und er hat den anderen gutaussehenden Typen, der neben uns an der Bar stand komplett ignoriert. Im Gegensatz zu mir. Der ist noch später mit zu mir gefahren.“

„Naomi“, rief Sandy empört. Naomi lächelte leicht mit einem Schulterzucken.

„Das brachte mich auf die zweite Erklärung. Er steht auf eine Andere.“

„So oder so. Wenn er es dir nicht sagt, werden wir es wohl nie erfahren. Eine von vielen Sachen, die ich niemals wissen wollte“, kommentiere Linda genervt.

„Alles in Ordnung bei dir?“ Jules schaute Linda genauer an.

„Max hat sich gemeldet. Er will sich privat mit mir treffen und reden“, erzählte Linda und rührte mit ihrem Strohhalm im Glas rum.

„Wann trefft ihr euch?“, fragte Jules weiter.

„Ich weiß nicht mal, ob ich mich mit ihm Treffen will.“ Linda nippte einen großen Schluck.

„Du solltest dich mit ihm treffen. Was auch immer er dir zu sagen hat, lass ihn dir das sagen“, gab Naomi ihr den Ratschlag.

„Du meinst, so wie der Kellner dir alles sagt?“, stachelte Linda. Naomi atmete kurz flach ein.

„Linda, du musst mich nicht gleich angreifen. Ich will dir nichts Böses“, sagte Naomi mit ruhiger, aber bestimmter Stimme. Linda schaute sie mit ihrem Dackelblick an.

„Tut mir leid. Ich weiß, dass du nichts dafürkannst. Ich wünschte nur mein Liebesleben wäre gerade so unkompliziert wie deins“, erklärte Linda entschuldigend.

„Kein Problem. Das wird schon wieder.“ Naomi lächelte aufmunternd Linda zu. Linda nickte ihr dankbar entgegen. Zusammen tranken sie ihre Cocktails weiter aus.

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Der Riss

Ich erinnerte mich, wie ich auf dem feuchten Boden der U-Bahnstation ausrutschte. Mein Po rodelte herunter. Das Karnevalsbier klebte an meiner Hose. Als ich auf mein Handy sah, welches ich während meines rutschigen Manövers in der Hand hielt, sah ich ihn. Den Riss. Er durchschlängelte sich an der unteren, linken Ecke meines Handys. Eine Entscheidung, ein Riss.

Ein Jahr später. Ich kramte meinen Laptop aus der Tasche. Als ihn aus der Tasche kramte, sah ich ihn oben Links. Den Riss. Eine Entscheidung, ein Riss.  

Zwei Zeitpunkte. Ein Blick. Eine Frage. Ich starre den Riss an. Er stört mich. Irgendwann vergesse ich ihn. Er verschwindet aus meinem Blickfeld. Auch wenn er noch da ist. Er ist immer da. Nur nicht in meinem Wahrnehmungsfeld. Er verschwindet in der Nicht-Wahrnehmung. Eine Entscheidung, ein Riss. Dieselbe Frage. Den ersten Riss kittete das Schicksal. Der zweite Riss steht in den Sternen.

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Tequila Sunrise (6. Teil)

„Du hast was?“ Sandy bekam kurze Schnappatmungen. Auch Naomi und Linda hielten für einen kurzen Moment den Atem an.

„Ich habe meinen Job gekündigt“, erklärte Jules gelassen.

„Aber wieso?“ Naomi versuchte zwanghaft diese neue Information mit ihrem vorherigen Bild von Jules Arbeitsleben abzugleichen. Vergeblich.

„Ich weiß, ihr denkt nur weil ich viel gearbeitet habe und so viel Zeit und Energie in meine Arbeit gesteckt habe, dass ich meinen Job liebe. Aber das tue ich nicht. Habe ich ehrlich gesagt noch nie.“ Der Kellner brachte ihnen vier Tequila Sunrise. Linda griff ohne zu zögern danach und trank sofort einen Schluck, ohne das wöchentliche Anstoßen abzuwarten. Sandy starrte sie irritiert an.

„Den habe ich gebraucht“, verteidigte sich Linda. Dann wandten sich alle wieder zu Jules.

„Aber was willst du stattdessen machen?“, fragte Naomi unverwandt weiter.

„Naja, ihr wisst doch, was ich früher immer so geliebt habe“, setzt Jules an.

„Malen. Ich erinnere mich noch an deine ganzen Bilder“, entgegnete Linda.

„Genau. Ich weiß, es hört sich vermutlich total bescheuert an, aber ich würde nichts lieber machen, als den ganzen Tag zu malen. Das war einfach schon immer mein Traum. Als ich plötzlich nach Japan versetzt wurde, da wurde mir klar, dass ich das nie wirklich wollte. In einem fremden Land mit fremden Leuten und noch dazu einen Job, den ich nur ganz okay finde, aber nie mein Herz auf diese Weise höherschlagen lässt. Also habe ich gekündigt und habe seitdem schon drei Bilder gemalt. Gerade suche ich eine Galeristin, die mir hilft mich mit meiner Kunst selbstständig zu machen.“ Also Jules von ihrem neuen Lebensentwurf erzählte, leuchteten ihre Augen. Und obwohl die drei Freundinnen zuerst verhalten reagiert hatten, sahen sie ihre beste Freundin das erste Mal wirklich glücklich.

„Du wirst eine wundervolle Künstlerin. Ich will auf jeden Fall eine Karte für deine erste Ausstellung.“ Euphorisch umarmte Sandy Jules, die versteinert dort sitzen blieb, da sie mit einem solchen Überfall nicht gerechnet hatte.

„Ist da jemand etwa sehr glücklich?“, merkte Naomi an.

„Ich? Ich freue mich einfach für meine beste Freundin. Das ist alles“, wehrte Sandy ab. Naomi grinste breit.

„Okay, okay. Es könnte sein, dass das mit Nick und mir etwas Ernsthaftes wird. Ich habe vorgestern seine Eltern kennengelernt und morgen fahren wir für zwei Tage aufs Land“, gab Sandy zu, während ihre Wangen leicht erröteten.

„Oho“, tönte Naomi.

„Genug von mir. Was ist mit dir, Linda?“, wechselte Sandy das Thema.

„Ich halte mich von jeglichen Männern fern. Naomis wohl weisester Ratschlag.“ Linda blickte anerkennend in Naomis Richtung.

„Danke, dass Orakel spricht immer gerne kluge Weissagungen aus“, lächelte Naomi.

Dann tranken sie in Ruhe ihren Tequila Sunrise aus.

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6. Brief an die Liebe meines Lebens

Liebe meines Lebens,

ich habe das Gefühl dir zu sehr hinterherzujagen. Du erscheinst mir wie ein dahinflatternder Schmetterling, den ich einfach nicht einfangen kann. Am Ende stehe ich bei jedem Versuch mit leeren Händen da. Vielleicht sollte ich, statt dir nachzujagen, mich einfach hinsetzen und abwarten. Vielleicht kommst du dann von alleine auf mich zugeflogen. Vielleicht setzt du dich dann auf meine äußere Handfläche, wenn ich sie dir vorsichtig entgegenhalte. Und ganz vielleicht betrachte ich am Ende die Art von Schönheit, der ich immer hinterherjagt bin.

Ich habe mich schon immer zu oft an verlorene Hoffnung geklammert. Habe mich in Dingen, Menschen verloren, statt einfach meinen eigenen Weg zu gehen. Immer wenn ich nach Liebe gesucht habe, kam ich ein Stückchen mehr von meinem Weg ab. Wenn du mir jetzt über den Weg laufen würdest, dann kann ich dir nicht sagen, ob ich dich erkennen würde. Man sagt manche Leute werden von der Liebe blind, doch ich habe das Gefühl blind vor der Liebe zu sein. Ich traue meinen Gefühlen nicht. Aus Angst eine falsche Entscheidung zu treffen, treffe ich lieber gar keine Entscheidung.

Ich weiß, ich kann dich nicht suchen. Ich weiß aber, dass du mich finden kannst. Also werde ich mich einfach hinsetzen und warten. Es wird kein quälendes, sehnsuchtsvolles Warten sein, sondern ein Warten bei dem ich die Augen schließe, die warmen Sonnenstrahlen genieße, den Duft einer frischen Blumenwiese einatme und wer weiß, vielleicht lässt sich schneller als ich dachte ein Schmetterling vor mir nieder.

In Liebe

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Mojito (5. Teil)

„Auf uns!“, verkündete Jules, während sie ihre Gläser erhoben und anstießen. Als sie tranken, verzog Sandy keine Miene.

„Diesmal ist es nicht ganz so ekelhaft“, stellte Sandy fest. Sie war nicht ganz überzeugt, trank aber trotzdem weiter.

„Wie geht es dir? Schon was von Jack gehört?“, fragte Jules Linda. Linda zuckte mit den Schultern. Sie blickte leer drein.

„Jack hat sich seit dem Abend nicht mehr gemeldet. Ich möchte nicht weiter drüber reden.“ Die anderen nickten verständnisvoll.

„Also ich bin kurz davor den Kellner doch noch zu vernaschen. Er wird von Woche zu Woche unwiderstehlicher“, merkte Naomi an und sah dabei in Richtung Bar, wo der Kellner Cocktails mixte.

„Gönn dir“, lachte Jules.

„Ich habe mich mit Nick getroffen“, platzte Sandy raus. Alle schauten sie neugierig an.

„Nick?“, fragte Naomi.

„Jaaa. Wir haben uns über diese Dating-App kennengelernt“, fing Sandy an zu erzählen.

„Moment, du hasst Dating Apps“, warf Naomi ein.

„Ich bin über meinen Schatten gesprungen. Er ist wirklich toll. Bei unserem ersten Date hat er mir Tortellini alla Panna gekocht und außerdem hat er dieses süße Grübchen, wenn er lächelt“, schwärmte Sandy.

„Und wie ist er…?“, deutete Naomi an.

„Untersteh dich. Wir hatten nicht einmal einen Abschiedskuss“, verteidigte sich Sandy.

„Schätzchen, du hast definitiv den Sinn von Dating-Apps missverstanden“, erklärte Naomi kopfschüttelnd.

„Da muss ich Naomi recht geben. Denkst du wirklich, du findest dort die große Liebe, die du dir so sehr ersehnst?“, fragte Jules mit einem leicht ironischen Unterton.

„Jetzt gönnt mir doch wenigstens meine Illusion. Vielleicht ist Nick nicht die Liebe meines Lebens, aber ich verbringe gerne Zeit mit ihm, okay? Ihr wisst genau wie schwer es war.“ Sandy spielte auf ihre Trennung ihrer ersten großen Liebe an.

„Das ist fünf Jahre her! Ihr wart nur ein halbes Jahr zusammen“, meldete sich Linda zu Wort.

„Trotzdem tat es weh, okay? Ich bin einfach froh, wieder jemanden in mein Leben zu lassen“, erläuterte Sandy ihre Gefühle.

„Ich finde, du hättest ihn trotzdem flachlegen können. Da unten muss sicherlich schon alles verstaubt sein.“ Sandy verdrehte nur die Augen über Naomis anzüglichen Kommentar.

„Halt uns gerne auf den Laufenden, wenn sich daraus mehr entwickeln sollte“, sagte Jules. Dann tranken sie weiter ihren Mojito.

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Whiskey Sour (4. Teil)

„Mädels, dieser Abend wird legendär“, verkündete Jules, während sie ihren Whiskey Sour als Erste in die Höhe hielt.

„Hab ich was verpasst?“, fragte Sandy irritiert.

„Meine Beförderung“, verkündete Jules. Sie arbeitete nun schon seit Jahren in einer Telekommunikationsfirma und versuchte sich immer wieder hochzuarbeiten, was bis jetzt aber nur kleinschrittig vonstattengegangen war.

„Herzlichen Glückwunsch!“, freute sich Naomi. Auch die anderen fielen in die Glückwünsche ein.

„Darauf sollten wir wirklich erstmal anstoßen“, erhob Linda freudig ihr Glas. Sie stießen alle ihre Gläser miteinander an.

„Ich bleibe eindeutig bei süß.“ Sandy verzog kurz nach ihrem ersten Schluck direkt wieder das Gesicht. Ohne, dass Linda etwas sagen musste, schob Sandy sofort ihr Glas zu ihr hin. Linda hob anerkennend die Augenbraue.

„Genug von mir. Linda, wie sieht mit deinem Liebesleben aus?“, wechselte Jules das Thema. Bevor Linda antwortete, rief Sandy den Kellner herbei. Sandy warf ihr einen kurzen entschuldigenden Blick zu, aber Linda atmete kurz auf.

„Könnte ich bitte einen Sex on the beach haben?“, fragte Sandy denselben Kellner, der ihren Tisch bereits die letzten drei Wochen bediente.

„Natürlich“, nickte er ihr zu.

„Sie steht nicht so auf die richtig, harten Sachen“, zwinkerte Naomi ihm zu. Er lächelte, doch es war ein höfliches, zurückhaltendes Lächeln. Dann verschwand er.

„Den krieg ich noch rum“, erklärte Naomi. Anschließend blickten alle wieder Linda an.

„Jack ist gestern früher wiedergekommen. Er hat am Telefon gemerkt, dass etwas nicht stimmte. Als er gestern nach Hause kam, habe ich ihm sofort die Wahrheit gesagt“, erzählte Linda mit Blick in ihr Whiskey Glas gerichtet.

„Er hat sofort die Flucht ergriffen und mir geschrieben, er sei bei Martin, seinem besten Freund. Er brauche Zeit für sich und meldet sich, wenn er so weit ist.“ Linda so unglücklich zu sehen, schmerzte die drei Freundinnen.

„Was ist mit Max?“, fragte Sandy nach.

„Von dem habe ich seit unserer gemeinsamen Nacht nichts mehr gehört. Auf der Arbeit geht er mir ständig aus dem Weg oder stellt nur zwischendurch beiläufig eine Frage. Ehrlich, ich habe keine Ahnung, was ich machen soll.“ Linda wischte sich heimlich eine Träne weg, in der Hoffnung niemand würde es sehen, doch sie alle drei sahen sie an.

„Du solltest dich einfach auf dich konzentrieren. Kein Mann, absolutes Männerverbot. Nur du. Und natürlich wir.“ Naomi zeigte aufmunternd in die Runde. Kurz huschte ein Lächeln über Lindas Gesicht.

„Das kommt von dir?“, neckte Linda sie. Auch die anderen waren erstaunt.

„Allgemein bin ich immer dafür zu vögeln, aber hier haben wir es mit einer bereits aufgeladenen Situation zu tun und du würdest bei deinem aktuellen Zustand sofort in einer Rebound-Beziehung landen“, erklärte Naomi. Die drei schauten sie erstaunt an.

„Ich habe drei Semester Psychologie studiert, schon vergessen?“, erinnerte Naomi sie.

„Und was bedeutet das alles?“, fragte Linda sie.

„Es bedeutet, dass du dich an den erstbesten Mann binden würdest, der dir über den Weg läufst. Du würdest natürlich denken, dass du total in ihn verliebt bist und uns die Ohren über ihn vollsülzen. Aber in Wirklichkeit würdest du nur deinen Liebeskummer zu Jack damit überdecken wollen, statt dich auf emotionaler Ebene mit der Situation auseinanderzusetzen“, erläuterte Sandy.

„Du hast doch gar keine Psychologie studiert?“, merkte Jules an.

„YouTube-Videos“, erwiderte Sandy.

„Damit hat sie recht“, erklärte Naomi Linda.

„Ich lass die Situation auf sich beruhen und warte erst einmal, ob ich noch einmal ein ruhiges Gespräch mit Jack haben kann. Wenn er bereit dazu ist“, sagte Linda nachdenklich, bevor sie still wurde.

„Was genau machst du jetzt eigentlich auf deinem neuen Posten, Jules? Bist du immer noch in der Hauptverwaltung?“, wechselte Sandy das Thema, während der Kellner ihren Sex on the beach brachte.

„Nein, ich bleibe nicht in der Hauptverwaltung.“ Jules machte kurz eine Pause.

„Sie wollen mich für die Auslandsvermittlung einsetzen. Was heißt, dass ich fünf Monaten nach Japan ziehen werde“, verkündete Jules zurückhaltend. Sandy verschluckte sich an ihrem Cocktail, während Naomi und Linda sie mit aufgerissenen Augen anstarrten.

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