Aphorismen eines Tages

Die Welt stand für Jessy still, als sie in ihr morgendliches Spiegelbild schaute und dabei ihre grünstichigen Augen mit ihren goldbraunen Streifen intensiv betrachtete. Dabei waren es nicht ihre Augen, die sie so in den Bann zogen, sondern ihre eigenen Gedanken. Sie mäanderten wie ein Fluss ihren eigenen Weg durch ihren Kopf. Noch nie hatte sie sich über das Leben solche Gedanken gemacht, wie es an diesem Morgen der Fall war. Obwohl sie bereits ihre ganz normale Arbeitskleidung trug, wollte etwas in ihr sich diesem Umstand nicht anpassen. Der Weg zur Arbeit erschien ihr an diesem Tag falscher denn je, obgleich er sich nicht groß von ihren vorherigen Arbeitstagen unterscheiden würde. Etwas in ihr schrie sie an, nicht das Haus zu verlassen. Es war eine tiefe, innere Stimme, deren Präsenz ihr Spiegelbild nur erahnen konnte. Die grelle Lampe des fensterlosen Badezimmers ließ ihre Haut auf unnatürliche Weise blass erscheinen. Obwohl sie nicht krank war, konnte man sie in diesem Licht durchaus dafür halten. Sie überlegte zum Arzt zu gehen und sich krank schreiben zu lassen. Ihre frühere Therapeutin hatte ihr vor langer Zeit bereits empfohlen, solche Dinge zu unterlassen. Doch das lag weit in der Vergangenheit. Nun war sie sich nicht sicher, welchen Weg sie einschlagen sollte. Den Weg ihrer Gedanken oder den Weg der Vernunft.

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Piña Colada (10. Teil)

„If you like piña colada and gettin‘ caught in the rain. If you’re not into yoga. If you have half a brain…“, sangen die vier Frauen laut ins Mikro. Auf der kleinen Bühne im Highlight sahen sie aus, wie eine Girlsband, die nur darauf wartete entdeckt zu werden. Nur Sandys Gesang zerstörte mit ihrer hohen, schrillen Stimme das Bild.

Nachdem sie den Song über ein entfremdetes Ehepaar, die wieder zueinander finden, zu Ende gesungen hatten, setzten sie sich wieder auf ihren Stammplatz.

„Für unsere vier bezaubernden Gesangstalente, einmal Piña Colada aufs Haus.“ Mit einem Schwenk landete Juanitos Tablet auf ihrem Tisch und er verteilte nacheinander den Gratis Colada. Als letztes setzte er Naomi einen Cocktail hin und strahlte sie dabei an. Sie strahlte zurück.

„Lasst es euch schmecken“, sagte Juanito, bevor er sich vom Tisch entfernte.

„Was ist das denn zwischen euch?“, fragte Jules. Naomi winkte ab.

„Versucht erst gar nicht euer Schubladendenken auf mich anzuwenden.“ Doch die anderen blickten sich wohlwissend an. Jules erhob schließlich das Glas.

„So meine Lieben. Ich habe das Gefühl ein Lebensabschnitt geht vorbei und ein neuer Abschnitt beginnt. Darauf möchte ich einen Toast aussprechen.“ Sie räusperte sich, bevor sie weitersprach.

„Unsere einsame Romantikerin Sandy hat ihre Liebe gefunden, die sie in nicht allzu ferner Zukunft heiraten wird. Linda nimmt sich eine kurze Selbstfindungspause, bevor sie schließlich ebenfalls Max heiraten wird.“

„SO schnell möchte ich davon nicht sprechen“, wandte Linda ein.

„Du kannst mich doch nicht mitten in meiner bedeutenden Rede unterbrechen.“ Jules schüttelte den Kopf. „Wo war ich stehengeblieben? Ahja. Ich habe mich erfolgreich in der Kunstszene etabliert. Und Naomi ist und bleibt Naomi.“ Jules deutete zum Anstoßen an.

„Was soll das heiße, ich bleibe ich?“ Naomi blickte sie mit hochgezogenen Augenbrauen an.

„Wir stecken dich einfach nicht eine Schublade“, erklärte Jules. Daraufhin lachte Naomi herzlich und stieß mit an.

„Was würde ich nur ohne euch machen.“ Naomi wischte sich eine Träne aus dem Auge.

„Ich weiß, wir können nicht für immer diesen Moment festhalten, aber die Zeit mit euch bleibt einfach unvergesslich“, verkündete Sandy. Alle nickten einstimmig.

Sie wussten, diese Zeit war nicht für immer, doch sie würden jeden einzelnen Moment genießen, sodass sie diese immer im Gedächtnis behalten würden. Welcher Weg das Leben auch für die vier Freundinnen noch bereithielt, sie würden nie die Gespräche in der Bar vergessen und die verbindende Freundschaft, die sie durch diese Zeit begleitete.

THE END

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Caipirinha (9.Teil)

Sie nippten an ihren Gläsern. Schluck für Schluck leerten sie die Gläser mit braunen Zucker.

„Also ich weiß nicht“, überlegte Jules laut.

„Die Welt ist zwar verrückt, aber das ist noch kein Grund gleich über das Heiraten und Auswandern zu sprechen“, führte Jules weiter ihre Überlegung aus.  Sandys Eröffnung ihre Internetliebe in zwei Monaten zu heiraten und eventuell auf die iberische Halbinsel auszuwandern, stoß auf eine Protestwelle seitens Jules und Linda.

„Das ist dumm“, sagte Linda direkt zu Sandy. Sandy blickte zu Naomi.

„Und was sagst du dazu?“ Naomi zog ihre rechte, gerade Linie, die eine ihrer Augenbrauen bildete, hoch.

„Ich halte es zwar für genauso bescheuert, wie Linda und Jules, jedoch…“, sie hob ihren Finger hoch und machte eine Pause „bist du genau das. Unsere verrückte, bescheuerte Sandy, die wir alle lieben. Deshalb wollen wir alle nur eins: Dass du glücklich bist.“ Sandy fing an zu strahlen. Sie beugte sich zu Naomi und umarmte sie fest. Naomi riss die Augen auf, wie bei einem Überfall. Danach tätschelte sie ihre Schulter.

„Alles gut. Versprich mir nur, dass du auf dein Herz aufpasst und dich nicht verlierst. Und wenn doch, dann sind wir hier.“ Naomi deutete mit ihrer Hand um sich. Aus dem Augenwinkel konnte sie die feuchten Augen von Sandy erkennen.

„Fang mir jetzt nicht an zu weinen“, protestierte Naomi.

„Nein, nein“, wehrte Sandy mit tränenerstickte Stimme ab.

„Linda, was gibt es eigentlich Neues bei dir?“, wechselte Sandy das Thema. Alle schauten zu Linda rüber, die ganz rot wurde.

„In einer Woche kann ganz schön viel passieren.“ Sie pickte mit ihrem Strohhalm in den Zucker rein, der sich am Glasboden absetzte, bevor sie noch einen Schluck nahm. Die Blicke der Anderen ruhten auf ihr. Sie holte tief Luft.

„Also folgendes ist passiert: Ich habe mich am nächsten Tag mit Max getroffen, so wie ihr es mir auch geraten habt. Er hat mir gestanden, dass er sich in mich verliebt hat und mich versucht hat auf den Kopf zu bekommen, weil ich offensichtlich noch an Jack hänge. Doch mir das zu verschweigen, war das Schlimmste überhaupt. Er meinte, er gebe mir Zeit, darüber nachzudenken. Doch in dem Moment habe ich gemerkt, dass sich mein Herz schon längst entschieden hat. Also bin ich nach Hause gefahren und habe Jack gesagt, es sei endgültig vorbei.“

„Und was ist jetzt mit Max und dir?“ Jules konnte lange Pausen mit Inhaltslücken nicht leiden.

„Wir haben uns gestern getroffen. Ich habe gesagt, was ich für ihn empfinde, doch ich brauche die nächsten Wochen Zeit für mich selbst. Die letzte Zeit war zu viel und ich möchte mich nicht gleich von einer Beziehung in die Nächste stürzen. Er versteht das und gibt mir die Zeit, die ich brauche“, erzählte Linda ihre Geschichte zu Ende.

„Aber das hört sich nicht nach einem Happy End an“, merkte Sandy traurig an.

„Moment“, unterbrach sie Naomi und schaute erwartungsvoll Linda an. Diese verdrehte leicht die Augen.

„Vor euch kann man auch nichts geheim halten. Ja, wir haben uns am Ende noch geküsst“, gab Linda zu. Sandy klatschte in die Hände. Naomi lächelte nur.

„Kann ich euch noch was bringen?“, fragte Juanito, der an ihren Tisch trat und auf ihre leeren Gläser deutete. Seine Föhnfrisur saß perfekt bis auf die eine Strähne, die ihm ins Gesicht fiel. Vergeblich versuchte er sie weg zu pusten.  

„Ich denke für heute haben wir genug“, gab Jules von sich. Die anderen nickten zustimmend. Er fing an, die leeren Gläser aufzusammeln.

„Ihr seid nächste Woche auch da zum großen Karaoke Abend?“, fragte er in die Runde. Sofort schauten sie sich alle lächelnd an.

„Wie könnten wir uns das entgehen lassen“, verkündete Naomi. Als er fertig mit Abräumen war, wandte er sich zu Naomi.

„Und sehen wir uns gleich noch?“, fragte er sie. Die Anderen starrten Naomi an.

„Wie könnte ich mir das entgehen lassen“, lächelte sie ihm zu.

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