Die Neun der Schwerter / Die Fünf der Stäbe (11. Teil)

Die Nächte zogen dahin, während sich Lizzy schlaflos hin und her wälzte.

Eines Nachts wachte sie ruckartig auf. Die Bilder ihres Traumes flüchteten bei ihrem Erwachen aus ihrem Gedächtnis. Es war vier Uhr morgens. Ohne groß darüber nachzudenken setzte sie sich aufrecht hin, nahm sich eine Liste und schrieb alle Dinge auf, die sie zu diesem Punkt geführt haben. Alles. Ihre Verzweiflung, ihre schmerzhaften Trennungen in ihrem Leben bis hin zu der Hoffnung, die sie vorantrieb. Aber worauf hoffte sie eigentlich? Vor ihr lag ein neues, leeres Blatt Papier, dass sie sich genommen hatte und nur darauf wartete von ihrem Stift in der Hand beschriftet zu werden.

Auf einmal fielen ihr alle Dinge auf einmal ein für die sie leben wollte. Die Dinge, für die sie dankbar war. Die Menschen in ihrem Leben, ihr eigenes Café, ihre wunderbaren Katzen, …. Lizzy wurde bewusst, dass sie bereits alles Wichtige im Leben hatte. Dann gab es die Dinge, die noch nicht da waren, aber sie schrieb die Dinge so auf, als wären sie schon da. Ein neues Auto, ein Haus mit Garten, eine glückliche Beziehung, ….  Sie bedankte sich für diese Sachen, als wären sie bereits da. Dann legte sie sich um und schlief wieder ein.

Doch nur, weil man einen Wunsch äußert, heißt es nicht, dass es nicht auch Hindernisse gibt, die sich dazwischen stellen können. Das sollte auch Lizzy erfahren.

Am nächsten Tag konnte es Lizzy nicht glauben, als sie ihren Laden aufschloss. Sie schaute geschockt rüber auf die andere Straßenseite. Seit einigen Wochen beobachtete sie bereits die Bauarbeiten für den neuen Laden gegenüber. Doch sie hätte nicht damit gerechnet. Direkt gegenüber von ihrem Katzencafé Fitzgerald, würde ab nächster Woche das Hemingway eröffnen. Mit einem bebenden Körper stellte Lizzy fest, dass es sich dabei ebenfalls um ein Katzencafé handelte.

Ohne weiter darüber nachzudenken, ging Lizzy hinüber. Drinnen arbeiteten einige Leute an dem Aufbau der Inneneinrichtung. Lizzy klopfte gegen die Türe. Doch keiner schien von ihr Notiz zu nehmen. Sie betrat ohne Aufforderung den Laden. Noch immer schien keiner sie wahrzunehmen. Sie tippte einen Arbeiter an, der sie bloß mürrisch anschaute.

„Wo finde ich den Besitzer des Ladens?“, fragte sie direkt.

Er zuckte mit den Schultern.

„Der müsste in zwei Stunden hier sein“, antwortete einer der Arbeiter von der Seite. Lizzy nickte ihm dankend zu. Sie ging zurück in ihren Laden, wo ihre Mitarbeiterin Gina bereits wartete und sie irritiert anschaute. Lizzy erklärte ihr, dass sich dieses Missverständnis sicherlich heute Mittag aufklären würde und fing ohne Umschweife an zu arbeiten.

Es war zwölf Uhr mittags als Lizzy rüberging, um ihre Konkurrenz direkt die Meinung zu sagen. Doch als sie das Hemingway betrat, blieb sie mit weit aufgerissenen Augen stehen und brachte keinen Ton heraus. Vor ihr stand der Mann aus dem Café.

thewomanandonly ©

Die Sechs der Kelche (10. Teil)

Quelle: A.E.Waite Tarot

Zwei Tage später begegnete Lizzy ihrem Exfreund. Als hätte sie alleine mit ihren Gedanken an ihn, ihn wieder in ihr Leben gezogen.

Sie ging die Straße entlang, als er ihr entgegenkam. Nervös ging sie einen Schritt schneller, ohne zu wissen was sie eigentlich tun sollte. Beim Näherkommen sah sie auch seinen fragenden Gesichtsausdruck. Diese Situation kam ihr bekannt vor.

Zwei Jahre zuvor waren sie sich bereits auf diese Weise über den Weg gelaufen. Sie waren schweigend aneinander vorbeigegangen. Keiner traute sich etwas zu sagen. Stattdessen schauten sie sich tief in die Augen, während sie wortlos aneinander vorbeigingen. Nach der Begegnung war sie noch wochenlang aufgewühlt gewesen. Was hatte sein Blick zu bedeuten? Oder war er gar bedeutungslos?

Seitdem hatte sie ihn nie wiedergesehen. Bis zu diesem Tag.

Sie wollte etwas zu ihm sagen, als er nur noch wenige Schritte von ihr entfernt war. Doch sie brachte keinen Ton heraus. Ihr Herz klopfte wild umher. Wie das eines Rehs, was vor seinem Jäger davonlief. Verliebtheit und Angst liegen eng beieinander. Im Grunde sind beide beinahe dasselbe Gefühl. War es wirklich Verliebtheit oder schlichtweg die Angst? Die Angst davor nicht liebenswert genug für ihn zu sein? Die Angst davor aufs Neue verlassen zu werden?

Nur noch einen Schritt.

„Hallo, Lizzy“, gab er aus dem Nichts von sich und machte eine kurze Pause.

„Wie geht es dir?“ Er blickte sie fragend an. Ihre Beine zitterten.

„Gut… Ich meine, super. Und dir?“ Sie konnte nicht fassen, was gerade geschah. Das er tatsächlich nach dieser ganzen Zeit wieder mit ihr redete.

„Gut, schätze ich. Ich habe dich vermisst.“ Er kam direkt auf den Punkt. Das kannte sie nicht von ihm. Er war für sie immer der Astronaut aus David Bowies Space Oddity gewesen, was nicht zuletzt an der Namenskorrelation lag. Major Tom, der den Kontakt zu den Menschen auf der Erde verloren hatte und alleine in seiner Kapsel durch den einsamen Weltraum flog. Er schien für sie eine ähnliche Unerreichbarkeit zu haben. Nur in der Zeit, wo sie zusammen waren, hatte er sie in sein Raumschiff gelassen und ihr gezeigt, wie für ihn die Welt aussah, wenn er aus seinem Schiff schaute. Seine Sichtweise faszinierte sie. Aber irgendwann flog sie nicht mehr in dem Schiff mit, sondern beobachtete die einzelnen Punkte am Himmel von der Erde aus, wohlwissend, dass er in der Unendlichkeit umherflog. Nur, dass sie nicht mehr seine Sichtweise auf die Welt sah.

Und da stand er plötzlich. Er war wieder in ihrem Leben gelandet. Kein entfernter Punkt am Himmel mehr.

Er fragte sie nach einem Treffen und sie sagte zu.

Die darauffolgenden Wochen waren eine Odyssee an ihre frühere Beziehung. Wie sehr wünschte sie sich, sie hätte die Zeit zurückdrehen können. Zu dem Punkt, wo ihre erste Beziehung begann.

Als sie den ersten Abend im Bett neben ihm lag, zurück in seine warmen Arme, da schien es fast so, als wäre die Zeit zurück zu ihrem Anfangspunkt gedreht worden. In dem Moment, wo all der Schmerz noch nicht durchlebt wurde, all die Tränen noch nicht vergossen wurden.

„Woran denkst du?“, flüsterte er ihr ins Ohr, während sie nebeneinander lagen.

„Daran, wie du mir das erste Mal gesagt hast, dass du mich liebst“, erzählte sie ihm.

„Daran erinnere ich mich gar nicht mehr“, gestand er ihr. Ein Stich der Enttäuschung durchfuhr ihr Herz. In ihrer Erinnerung war es immer ein besonderer Moment gewesen, aber sie musste erkennen, dass dieser Moment nur für sie diese Bedeutung hatte.

Zwei Wochen später kam das Gespräch, welches sie für immer unwiderruflich auseinanderriss.

Sie fragte ihn, ob damals, während sie zusammen waren, schon etwas mit ihrer gemeinsamen Bekannten lief, mit der er nach ihrer Beziehung zusammenkam. Nach einer langen Pause, brachte er nur ein schuldbewusstes Ja heraus. Als sie die Antwort hörte, brach ihre Welt auseinander. Ohne sich zu verabschieden ging sie. So schnell wie er in ihr Leben eingetreten war, war er auch wieder verschwunden.

Die Vergangenheit scheitert. Sie kann nur einmal durchlebt werden, doch kein zweites Mal.

thewomanandonly ©

Die Königin der Kelche (7. Teil)

Quelle: A.E. Waite Tarot

Lizzy streichelte Olafs Rücken, während er zusammengerollt neben ihr auf dem Sofa lag. Im Fitzgerald waren am Dienstagmorgen nur die ältere Dame Patty und ein weiterer Gast im Laden.

Patty bat Lizzy, ihr Gesellschaft zu leisten, während sie gemütlich ihren entkoffeinierten Kaffee trank.  Lizzy setzte sich zu ihr. Als sie Olaf streichelte, merkte sie wie eine warme Welle ihren Körper durchfuhr. Das Café, die Katzen, ihre Gäste. Sie hatte alles, was sie sich erträumt hatte.

„Hast du einen Freund?“, fragte die ältere Dame Patty sie direkt. Lizzy hatte bereits bemerkt, dass Patty nie lang drum herumredete.

„Nein“, schüttelte Lizzy leicht den Kopf. Patty schaute sie geradewegs an, während sie noch einen vorbereitenden Schluck trank. Lizzy ahnte bereits, dass ihr Patty wieder eine Geschichte aus ihrem Leben erzählen würde.

„Ich hatte mehr als einen. Einer blieb mir besonders in Erinnerung: mein erster Freund Richard. Wir waren so jung und verliebt. Es war eine verbotene Liebe, zumindest tolerierten meine Eltern ihn nicht als meinen Freund. Er fuhr Motorrad, schwänzte die Schule, war ein allgemeiner Problemjunge. Nichts, was man sich für eine vornehme Tochter aus einem Juristenhaus vorstellte. Also verbaten sie mir, mich mit ihm zu treffen. Ich, junges Ding, tat es trotzdem heimlich. Meine frühere beste Freundin Luise stand für mich ein und behauptete ich sei bei ihr. Bis eines Nachts mein Vater ins Krankenhaus eingeliefert wurde. Meine Mutter wollte mich bei Luise abholen. Aber ich war nicht da. Luise gestand ihr, nachdem sie erfahren hatte, was passiert war, bei wem ich war. Meine Mutter holte mich bei Richard ab. Während wir ins Krankenhaus fuhren, sprach sie kein Wort mit mir.

Im Krankenhaus ging es meinem Vater wieder besser. Er hatte einen kurzen Herzanfall erlitten, lebte danach noch weitere sieben Jahre, bevor sein Herz komplett versagte.

Seit dieser Nacht verbaten mir meine Eltern , außer zur Schule hin und zurück, das Haus zu verlassen.

Ich erinnerte mich noch, wie wütend ich darüber war. Als mein Vater aus dem Krankenhaus wieder nach Hause gekommen war, lief ich in jener Nacht weg. Ich lief zu Richard und sagte ihm, wir sollten abhauen. Er strich mir meine Haarsträhne aus dem Gesicht. Sie fiel mir damals öfters ins Gesicht und er strich sie jedes Mal wieder zur Seite.

Er sagte, in Ordnung. Wir fuhren mit dem Motorrad Stadt um Stadt. Sieben Tage lang. Es war Sommer und wir übernachteten unter freiem Himmel.

Am siebten Tag fielen wir an der Landesgrenze auf. Meine Eltern hatten eine Vermisstenanzeige aufgegeben, sodass sie mich meldeten.

Danach war das Zuhause ein bloßes Gefängnis für mich. Richard wurde zum Zivildienst eingezogen und wir sahen uns nie wieder.

Ich hatte mehr als einmal versucht ihn zu finden, aber vergeblich. In seinem Haus, wo er alleine mit seiner Mutter gelebt hatte, wohnte bereits jemand anderes. Er war aus meinem Leben verschwunden.“

Lizzy, die gebannt zugehört hatte, wurde schwer ums Herz.

„Nie wieder?“, fragte sie wehmütig. Sie dachte an ihr eigenes Schicksal. An den Mann aus dem Café.

„Nur einmal. Ich ging an der Straße entlang und er ging auf der anderen Straßenseite. Ich hielt Hand mit meinem damaligen Ehemann. Ob er mich auch gesehen hat, weiß ich nicht. Nach unserer gemeinsamen Reise hatten wir nie wieder ein Wort miteinander gewechselt.“

Lizzy fiel es schwer, dieses Ende zu akzeptieren.

„Wir sollten ihn finden.“ Patty schüttelte den Kopf.

„Nein. Wahrscheinlich ist er verheiratet. Vielleicht auch schon gestorben. Nicht alle Pfade führen wieder zueinander. Manche Pfade im Leben sind dafür bestimmt sich nur einmal zu kreuzen. Unser Zeitpunkt liegt bereits weit zurück in der Vergangenheit.“ Patty nahm den letzten Schluck aus ihrer Tasse. Dann kramte sie aus ihrer kleinen lackroten Tasche ihr Portmaine und legte einen Schein auf den Tisch, bevor sie aufstand.

„Stimmt so. Ich komme die Tage wieder.“ Dann verschwand sie durch die Tür in den Gang, der schließlich zur Ein- und Augangstür führte.

Lizzy dachte noch eine Weile über Pattys Geschichte nach, während sie anfing Olaf am Hals zu kraulen, was er mit einem entspannten Kopfstrecken entgegennahm.

thewomanandonly ©

Der Stern, Fünf der Schwerter (4.Teil)

Lizzy sah Marco nicht wieder. Statt ihr Scheitern zu beklagen stürzte sie sich auf ihre Businessidee. Der Traum eines eigenen Cafés. Nicht irgendein Café. Es sollte ein Katzen- und Literatur Café werden, indem man neben Büchern aus den Schränken auch Katzen streicheln konnte. Abgerundet würde dieses Erlebnis durch ein leckeres Getränk aus der Speisekarte. Sie würde es Fitzgerald nennen.

Lizzy entwarf gerade ihren Finanzplan. Frustriert legte sie ihn auf die Seite ihres Schreibtisches, der in ihrem Wohnzimmer stand. Sie sah sich dort um und Zweifel kamen auf. Das Geld für die Miete reichte noch für zwei Monate, bevor sie endgültig hier raus musste, wenn sie ihren Traum nicht verwirklicht bekam.

In ihrem alten Job als Flugbegleiterin wurde sie von der ersten Kündigungswelle getroffen. Sie war erst eineinhalb Jahre dort gewesen und somit die Neue, weswegen sie auch von der ersten Stellenkürzung betroffen war.

Als sie ihre Kündigung in der Hand hielt fühlte sie die Sorgen wie ein Ziehen in ihrer Brust. Es wurde von dem Gefühl der Erleichterung übertrumpft. Sie hatte sich nie vorstellen können, dass das für immer ihr Leben sein sollte. Der Grund, warum sie es als Chance sah, um endlich ihren insgeheimen Traum zu verwirklichen.

Natürlich versuchten alle in ihrem Umfeld, ihr den Traum auszureden: Ein Café. Weil es nicht schon genug Cafés gibt. Und dann noch selbstständig. Bei der wirtschaftlichen Lage. Reiner Selbstmord.

Lizzy gab nichts auf diese Stimmen, die von außen auf sie einprasselten. Auch wenn die Stimme ihrer Mutter am lautesten war, die ihr sagte, sie solle doch etwas Vernünftiges machen. Obwohl Lizzy in diesem Moment Zweifel aufkamen, wusste sie, dass sie nur auf eine Stimme hören würde: Ihre innere Stimme. Sie war die einzige Stimme, die ihr Mut zuredete und fest an sie glaubte. Auch wenn es um sie herum keiner tat, so tat sie es in ihrem Inneren.

Als sie vor ihrem Finanzplan saß, in ihrer Wohnung, die sie sich bald nicht mehr leisten konnte, kamen ihr ernsthafte Zweifel auf. Sie zerriss den Plan, holte sich eine Flasche Weißwein und setzte sich auf dem Balkon, um die letzten Sonnenstrahlen des Tages zu genießen, während in ihr ein strömender Regen herrschte.

Jeder Traum beinhaltet auch dessen Scheitern.

thewomanandonly ©

Vier der Münzen (3. Teil)


Quelle: A.E.Waite Tarot

Lizzy klammerte sich einen Tag später an die Hoffnung ihn wieder im Café zu begegnen. Doch als sie alleine dort saß, war er nicht in Sicht.

Sie bestellte sich eine Tasse Tee mit Himbeergeschmack. Als sie auf ihre Bestellung wartete, erwischte sie sich dabei, wie ihr Blick immer wieder zur Tür wanderte. Nach einer Weile kam die Kellnerin und stellte ihr die Tasse Tee hin. Der fruchtige Geruch ließ Lizzys Anspannung auflösen. Sie pustete ihn an. Als sie daran nippte, schreckte sie vor dem heißen Schmerz zurück. Sie ließ ihn noch eine Weile stehen und ihre Nervosität kam zurück. Ihr Blick sah eine Gestalt die Türe hereintreten. Sofort starrte sie dorthin und merkte schließlich wie sie enttäuscht zusammensank. Inzwischen kühlte sich die Tasse ab und sie tippte unruhig mit dem Finger dagegen.

Es verging eine halbe Stunde bis Lizzy ihren Tee ausgetrunken hatte und ihre Hoffnung löste sich in Luft auf. Hier würde sie ihn nicht wiedertreffen.

Nachdem sie bezahlt hatte, verließ sie den Ort der Begegnung wieder und ging ihren gewohnten Weg nach Hause, wo ihr eigenes, persönliches Reich bereits auf sie wartete.

thewomanandonly ©

3. Brief an die Liebe meines Lebens

Liebe meines Lebens,

bist du gläubig? Ich nicht. Was nicht heißen soll, dass ich verschlossen bin. Dinge, die man nicht Beweisen kann, sind eben rätselhaft. Ich habe meine Zweifel. Trotzdem schließe ich sie nicht aus.

Der Grund, warum ich aus reiner Neugier eine Rückführungsmediation gemacht habe. Danach sollte man sich an sein früheres Leben erinnern.

Meine Vorstellung von Leben und Tod sah in der letzten Zeit meines Lebens wie folgt aus: ich dachte, dass weder vor dem Leben etwas, noch danach etwas kommt. Ein großes Nichts, was einen zu verschlingen droht, sobald der letzte Atemzug einen verlässt. Genauso wie Aristoteles seinem Lehrer Platon widersprochen hatte, da Platon an eine wiedergeborene Seele glaubte, was Aristoteles wiederum bestritt, so glaubte ich nicht an Reinkarnation. Die Seele, die heutzutage eher als Bewusstsein bezeichnet wird, erschien mir vergänglich und nicht ewig.

Ob mein Unterbewusstsein diese Bilder kreiert hatte oder es sich dabei wirklich um mein früheres Leben handelte, weiß ich nicht. Aber bei der Rückführung kamen unterschiedliche Bilder auf. Wie ich als achtjähriger Junge an einem See stand und ein toter Fisch an das steinige Ufer herangespült wurde.

Danach erinnere ich mich an die wohl ausgeprägteste Erinnerung.

Eine Frau in einem roten Gewand mit einem halb zugebunden Kopftuch schaute mich in einer betriebsamen Gasse an. Ich nahm das Geschehen um mich herum nicht wirklich war, sondern nur die tiefen blauen Augen in ihrem hellen Gesicht. Eine Verbundenheit, die wohl die einprägsamste Erinnerung aus diesem Leben ist. Neben diesem äußerlichen Einfluss, spürte ich die ganze Zeit das Kratzen meines Bartes.

Während sie weiterging, blieb ich kurz stehen und schaute ihr nach. Sie schaute mir beim Weitergehen noch eine Weile in die Augen.

Eine andere Erinnerung war ein Raum über dessen Tür ein Kreuz hing. Ein todkranker Junge lag in einem Bett. Ich verabreichte ihm Medizin. Obwohl ich diesen Jungen heilen wollte, fühlte ich mich fehl am Platz. Als wollte ich noch was anderes machen, als das Leiden anderer Menschen zu sehen.

Ich schaute in einen Spiegel. Neben dem Bart, trug ich einen Hut mit Federn. Von der Seite sagte jemand meinen Namen. Albert. Es ist das Jahr 1639. Die Sprache ist weder Deutsch noch Englisch, sondern eine eigenartige Mischung. Niederländisch. Wer war diese Frau, die meinen Namen sagte? Vielleicht meine Frau? Aber nicht jene Frau aus der Gasse.

Das war es. Bei meiner Rückführung hatte ich zwei Kugeln gesehen. Jede stand für ein Leben. Ich hatte mich für diese Kugel entschieden. Vielleicht, weil es das Leben war, welches ich zuletzt gelebt hatte.

Ob es nur eine Geschichte meines Unterbewusstseins oder eine wirkliche Erinnerung war, spielt keine Rolle. Ich schließe keins von beidem aus. Trotzdem frage ich mich, wieso mich die Seele jener Frau so berührte. Es ist als wäre es genau die Seele, nach der meine Seele sucht. Sie ist mir in diesem Leben noch nicht begegnet.

Der Romantikerin in mir gefällt die Vorstellung, du könntest jene Seele sein. Zwei unvollständige Seelenteile, die sich in jedem neuen Leben wiederfinden müssen. Eine Liebe, die durch alle Zeiten hinweg existiert. Immer wieder auf der Suche nach dem anderen Teil. Zueinander geleitet vom Leben, ohne es zu wissen. Der eine Teil Yin, der andere Teil Yang. Jeder trägt einen Teil des anderen schon in sich.

Erinnerst du dich?

In Liebe

thewomanandonly ©