Die Existenz einer Reise

Es ist 6 Uhr morgens in Los Angeles. Ich fahre mit der Bahn nach Hause. Es ist die Bahn von Köln bis nach Weiden. Den Blick aus dem Fenster gerichtet, sehe ich die Tropfen länglich dagegen schlagen. Es ist 28 Grad auf den Seychellen. Der Bahnfahrer sagt eine Verzögerung aufgrund eines vorausfahrenden Zuges durch. Der Zug steht bereits einige Minuten. In San Francisco würde man in weniger als 1 Stunde den Sonnenaufgang beobachten können. Der Zug setzt sich langsam wieder in Bewegung. Die Fahrt geht weiter. In Australien kann man tagsüber mit Delfinen schwimmen. Die Bahn hielt wieder und wieder. In Bali kann man gerade den Sternenhimmel betrachten. Das laute Rumoren der Gleise ließ die Durchsage der nächsten Bahnhaltestelle untergehen. Man würde bald das Wrack der Titanic besuchen können. Der Zug blieb stehen, das Drücken des Knopfes, das Öffnen der Türen und der anschließende Ausstieg. Die tägliche Reise konkurriert mit der eigenen Gedankenreise. Fantasiereisen. Die große, weite Welt scheint von hier aus so unerreichbar wie Narnia. Dabei existiert sie parallel zu der eigenen Alltagswelt. Und mit etwas Mut würde ich eines Tages in der prahlen Mittagssonnen die glänzenden Iguazú-Wasserfälle in Brasilien sehen.

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If I could write a song

Wenn ich einen Song schreiben könnte, würde ich dir all die Sachen sagen, die ich dir so nicht sagen kann. Es wäre ein Song über uns. Ich würde dir all meinen Schmerz zeigen. Über ihn Singen mit tränenerstickter Stimme. Dir alles erzählen, was auf meinen Herzen lastet. Dir zeigen, wie große Angst ich habe zu verlieren. Dir den Schmerz meiner Vergangenheit zeigen. Dir zeigen, wie große Angst ich vor großen Gefühlen habe. Dich endlich an einem Stück über mich teilhaben lassen, den ich sonst nicht offenbare. Ich würde über alles Singen, was ich nicht sagen kann.

Doch ich spiele keine Saite. Kann meine Stimme nicht erheben. All mein Inneres bleibt unbesungen. So kann ich dir all die Dinge nicht vorsingen, die ich dir im wirklichen Leben nicht sagen kann. Wenn ich doch nur einen Song schreiben könnte…

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„Lady Di(e)“ oder „Wie es ist eine Prinzessin zu sein“

Inspiriert durch The Crown

Der Schmerz in meiner Brust war so groß, dass ich kaum Luft bekam. Genau wie die Krone auf meinem Haupt, während sich ihre Schwere in meine Kopfhaut drückte. Es fühlte sich an, als hätte jemand einen Stein daraufgelegt, der nun darauf wartete einen langsam zu erdrücken. Bis nichts mehr von einem übrigblieb. Doch das stimmte nicht ganz. Denn wenn ich gehen würde, würde immer ein Teil von mir bleiben. Meine beiden Jungs gehörten zu diesem Teil. Genau wie meine Fassade der schillernden Prinzessin. Nur würde mein Ende, den Glitzer dieser Welt langsam abblättern lassen.

Nichts bleibt für immer. Selbst Erinnerungen zerfließen bis sie irgendwann nichts weiter als Legenden sind. Das Leben fortzusetzen war die einzige Möglichkeit, die sich mir bot. Das Leben wirklich zu leben war hingegen das Einzige, was sich mir verbot. Also lebte ich weiter, ohne wirklich zu leben. Eine schillernde Fassade eines Abgrunds. Man akzeptiert es, ohne den Willen dahinter zu haben, der einem zum Weitermachen motiviert. Und dann macht man einfach weiter.

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Sonnenlicht und Regentropfen (Eine Kurzgeschichte)

Das Sonnenlicht umspielte ihre Nase, während das Gras auf dem sie lag, sanft ihre Ohren kitzelte. Immer wenn sie leicht die Augen öffnete, blendete sie das Sonnenlicht so stark, dass sie das Gefühl bekam, selbst im Himmel zu sein. Genau das waren die Momente in denen sie sich am Lebendigsten fühlte. Als sei sie frei von allem. Es gab nur sie und den Moment. Nichts anderes. In dem Moment, wo ihre Augen von dem hellen Licht erleuchtet wurden und sie nur noch weiß sah, stellte sie sich selbst in Weiß vor. Das weiße Brautkleid mit dem sie eines Tages vor Johnny stehen würde. Ihren Schwarm, ihrer Liebe. Sie redeten gelegentlich miteinander und immer, wenn er lächelte und dabei in ihre Augen sah, wurde sie ganz rot und verlegen. Früher hatte man sie immer mit einer roten Tomate verglichen, wenn sie rot wurde. Dabei wäre sie so gerne eine Erdbeere für ihn gewesen. Süß, verboten und unwiderstehlich. Keine Beilage. Sie wollte seine Braut sein. Und als sie so da lag, mitten im Garten, während sie von der Sonne wie vom Rampenlicht angestrahlt wurde, stellte sie sich vor, dass er das eines Tages auch so wollte. Ihr Herz klopfte wild bei der Vorstellung.

Der Regen floss an ihrer Fensterscheibe hinunter, während sie am Schreibtisch saß und über verflossene Liebe schrieb. Der Regen erinnerte sie an Hochwasser und an Menschen, die von den Wassermassen mitgerissen wurden. Die Welt drehte sich für sie weiter, würde aber dennoch nie mehr dieselbe für sie sein. Sie schloss kurz an diesem getrübten Tag die Augen und dachte kurz an die Vergangenheit. Johnny hatte sie für eine Andere verlassen. Sie wurde ersetzt und blieb schließlich alleine zurück. Dabei sagte er ihr einst, sie sei was Besonderes. Man könne Äpfel nicht mit Birnen vergleichen. Doch am Ende war sie genau das und keine Hauptspeise. Etwas, das man nur zwischendurch aß. Sie sah einen Regentropfen dabei zu, wie er die Fensterscheibe hinunterwanderte. Sich anschließend mit anderen Tropfen vermischte. Ihr Herz zog sich bei dem Gedanken an all das zusammen.

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Die Hochzeit – Eine Kurzgeschichte

„Auf das Brautpaar!“ Als ihre Gäste auf Leila und Jason anstießen, sahen sich die beiden breit grinsend in die Augen. Alle um sie herum müssten meinen, sie seien verliebt, doch sie wussten es besser. Waren sie doch nur aufgrund einer Wette hier. Eine Vereinbarung, die sie vor über zehn Jahren getroffen hatten. Es war ihr Fünfundzwanzigster Geburtstag und sie war sturzbetrunken, als sie mit ihm, der nun seit drei Jahren ihr bester Freund war, die Wette abschloss, wer zuerst heiraten würde. Leila war einen Tag vorher verlassen worden. Er besorgte ihr zum Geburtstag eine Flasche Silver Tequila und keine zwei Stunden später war die Flasche leer und Leila voll. Sie sagte ihm, sie sei nun in dem Alter, wo sie immer heiraten wollte und nun ist sie stattdessen verlassen worden. Er wollte sie aufmuntern. Sagte ihr, sie würde ganz bestimmt vor ihm heiraten. Sie wollte es nicht glauben. Wollen wir wetten… Wer verliert muss auf der Hochzeit des anderen den peinlichen Stepptanz vollziehen, aus den gemeinsamen Stepptanzkurs, den sie ein Jahr zuvor zusammen absolvierten. Und wenn wir beide verlieren? Dann müssen wir beide wohl heiraten. Seine Worte klangen zu ihr, während sie ihre aufsteigenden Tränen schnell wegwischte. Bis wann haben wir Zeit? Bis wir Fünfunddreißig Jahre alt sind. Top, die Wette gilt.

Und so vergingen die Jahre, ohne dass es eine Hochzeit gab. Es kamen Beziehungen in ihrer beider Leben, die wieder in die Brüche gingen. Seine Freundin, die nach zwei Jahren mit ihm Schluss machte, weil er zu distanziert sei. Ihr Freund, den sie nach drei Jahren den Laufpass gab, nachdem er sie klischeehaft mit seiner Angestellten betrog. Nichts blieb bei den beiden von Dauer, außer ihrer Freundschaft. Und ihre Wette. An dem Abend ihres Fünfunddreißigsten Geburtstag war es dann soweit. Sie saßen im Restaurant. An einem Zweiertisch aneinander gegenüber. Nun haben wir beide verloren… Du redest doch nicht von dieser dämlichen Wette vor zehn Jahren. Da war eindeutig zu viel Tequila mit ausgepresster Zitrone im Spiel. Und trotzdem sind wir beide Single und haben niemand heiratswerten. Na gut.

Und so standen sie schließlich an diesem Tag vor dem Traualtar. Eine beidseitig verlorene Wette eben. Und während sie sich verstohlen in die Augen blickten, in dem Gedanken, dass nur sie beide die wahre Geschichte, das Geheimnis dahinter kannten, sahen alle andere das, was sie nicht sahen. Ein verliebtes Brautpaar.

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Der Klebstoff der Erinnerung

Ich konnte früher nie loslassen. Eine Eigenschaft, die ich an mir nicht mochte. An Erinnerungen zu kleben wie Glitzer auf einer alten Postkarte. Noch heute erwische ich mich dabei, wie ich mich an Dingen festhänge, die scheinbar bedeutungslos sind. Als könnten mich diese Sachen vor mir selbst retten. Vor der Angst, die wirklich in mir steckt.

Ich habe geliebt. Doch ist es so lange her. Sooft dachte ich danach, geliebt zu haben, wirklich zu lieben, habe es mir eingeredet, weil ich Angst vor der Wahrheit hatte. Die Wahrheit, dass ich gar nicht mehr lieben kann. Immer, wenn ich mich beinahe Fallenlasse, reiße ich das Ruder um und übernehme die Kontrolle. Bin der Kapitän, gebe die Richtung vor. Habe dabei keine Liebe mehr in mir, denn Lieben bedeutet auch immer sich fallen zu lassen. Und ich denke an all die Male, wo ich Fallengelassen wurde. Die Wahrheit ist, ich weiß selbst nicht, wie ich den Aufprall überstanden habe. Etwas in mir, möchte nie wieder aufprallen. Deshalb lasse nur ich die Menschen aufprallen, denn ich habe Angst bei meinem nächsten Aufprall ganz zu zerbrechen. Die Ungewissheit, ob es nicht mein letzter Aufprall gewesen sein könnte.

In kurzen Momenten erwische ich mich dabei. Wie ich kurz davor bin, mich doch noch ein letztes Mal fallen zu lassen. Wie ich hoffnungsvoll erwarte, es könnte da noch etwas geben, von dem ich dachte, es sei für immer verschwunden… Träume von Menschen, die ich nicht einmal kenne. Als könnten sie lebendig werden und gleichzeitig mich zum Leben erwecken. Der Grund, warum Menschen Geschichten erzählen, ist der, dass sie Menschen Leben einhauchen wollen. Etwas in mir will etwas tot Geglaubtes zum Leben erwecken. Dabei vergesse ich fast, dass alles was lebt auch wieder sterben kann. Bedenke deine Sterblichkeit, Mensch! Und vielleicht lass ich mich gerade deshalb früher oder später wieder fallen.

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Weihnachten (4) – Die Antilope und das Schicksal

„…das war mir so peinlich“, erzählte Betty ihre Geschichte zu Ende, während Nora an ihren Kakao mit Sahne nippte. Sie standen vor der ersten offenen Weihnachtsmarktbude und schlürften ihre Heißgetränke. Bei Nora bildete sich, wie so häufig, ein Sahnemund ab. Betty fand es immer wieder faszinierend, wie sie es schaffte, dass sie immer wieder ihre Mundwinkel mit Essen und Trinken verzierte, doch sie wusste, dass ihr Freund sich immer wieder darüber freute. Ihr treuer Hund schleckte sie gerne an ihren Mundwinkel ab. Betty fühlte sich in diesen Momenten immer fehl am Platz, genauso wie in diesem Moment, wo er von der Seite aufkreuzte und sofort überschwänglich Nora abküsste.

„Hi, Betty“, begrüßte er sie, nachdem er Nora seine ganze Aufmerksamkeit schenkte.

„Benny“, grüßte Betty ihn. Nora machte sich immer über die Namensähnlichkeit ihrer Spitznamen lustig, auch wenn sie selbst Benny nie bei seinem Namen nannte. Sie dachte sich stattdessen jede Woche einen tierischen Spitznamen aus.

„Ich bin so froh, dass du hier bist, meine Antilope“, schlang Nora ihre Arme um ihn, nachdem sie ihren Kakao zur Seite gestellt hatte.

„Warum ist er eine Antilope?“ Betty wusste, dass sie seine Spitznamen nie grundlos aussuchte.

„Sie will mich diese Woche immer wieder aufs Neue auffressen“, lachte Benny. Zu viele Informationen, dachte Betty mit geröteten Wangen.

„Was habe ich verpasst?“, fragte Benny in die Runde.

„Betty steht auf einen Mann“, zwitscherte Nora heraus.

„Stimmt doch gar nicht. Ich kenne ihn nicht mal“, protestierte Betty. Dabei spürte sie eine leichte Nervosität.

„Uuuuuh“, gab Benny von sich. Benny ergänzte mit seiner aufsprudelnden Art Nora perfekt. Sie waren das Paar, welches immer auffiel und wie ein perfekt eingespieltes Team agierte. Betty sah Nora in seiner Gegenwart leuchten. Das, was sie sich so sehr für ihre beste Freundin immer gewünscht hatte und welches ihre festen Freunde vor Benny nie geben konnten. Doch als Benny vor einem Jahr in ihr Leben trat, erkannte Betty sofort die Veränderung an ihr. Sie strahlte unentwegt wie ein Christbaumstern. Sie hatte ihre zweite Hälfte gefunden, das spürte Betty sofort.

„Betty will es sich noch nicht eingestanden, aber dieser Rudolf hat es ihr ungemein angetan“, erläuterte Nora.

„Rudolf?“ Benny verstand den Zusammenhang noch nicht.

„Wir kennen seinen richtigen Namen noch nicht, aber solange heißt er für uns Rudolf“, erklärte Nora ihm.

„Und wir werden seinen richtigen Namen auch nicht erfahren, weil ich ihn nicht wiedersehen werde. Selbst wenn ich wollte. Außerdem hat er eine Freundin“, verteidigt Betty sich.

„Letzteres weißt du doch nicht. Und für Ersteres kümmert sich das Schicksal schon“, widersprach Nora. Betty verdrehte die Augen. Schicksal. Ein Begriff, der für Betty genauso schlimm war, wie Weihnachten. Menschen, die an irgendetwas Gutes glaubten, ohne die Realität zu erkennen.

„Ich weiß genau, was du jetzt denkst. Doch wenn dich das Schicksal ereilt, wirst du seine Wahrhaftigkeit erkennen.“ Nora erkannte sofort ihre Gedanken, ohne dass Betty diese aussprach.

„Na, mal schauen“, sagte Betty, um nicht weiter mit der rundum optimistischen Nora diskutieren zu müssen.

„Glühwein?“, fragte Benny in die Runde.

„Ich gebe auch aus “, fügte er hinzu.

Es waren noch 33 Tage bis Weihnachten.

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Weihnachten – Rudolf mit der roten Nase (3)

Gibt es etwas Schöneres wie Lebkuchen und Zuckerstangen an Weihnachten? Betty mochte beides nicht. Diese ganzen Sachen sprachen sie überhaupt nicht, während sie an den Schaufensterläden vorbeiging. Sie brauchte dringend ein paar neue Winterpullover. Das Problem dabei im Sommer Winterklamotten auszusortieren war, dass man bis zum Winter wieder vergessen hat neue Kleidung einzukaufen. Und so trug sie im November drei Schichten Klamotten plus Winterjacke, um nicht ganz so sehr zu frieren. Als sie den Klamottenladen betrat, ging sie direkt in die Abteilung mit flauschigen Pullovern. So unterschiedlich Nora und Betty auch waren, diese Gemeinsamkeit hatten sie: im Laden wussten sie beide unnötige Ablenkungen zu vermeiden.

Sie suchte sich fünf Pullover in ihrer Größe aus, wobei sie neben einen Längeren auch in einer Nummer kleiner mitnahm. Einer davon hatten ein Rudolf-das-Rentier-mit-der-roten-Nase-Gesicht mit einer rot, hängenden Bommelnase drauf. Nichts für Bettys Geschmack, doch ihre Mutter würde es zu Weihnachten lieben. Mit ihrem Arm vollgepackt ging sie schnurstracks in die Umkleidekabine und nahm sich die erste, offene Kabine, die sich ihr anbot. Überall lagen noch Klamotten in der Kabine verstreut herum. Menschen, die ihren Kram nie wegräumen, dachte Betty genervt und hing ihre Sachen auf den Ständer. Sie fing mit den Rudolfpullover an, dann würde sie das Schlimmste hinter sich haben. Sie zog ihre drei Schichten aus und schließlich den Pullover drüber.

„Seltsam“, hörte sie eine tiefe Stimme vor ihrem Kabinenvorhang sagen, während sie den Pullover drüberzog. Sie war gerade fertig und fing an sich im Spiegel zu betrachten, als der Vorhang ruckartig aufgezogen wurde. Betty zuckte erschrocken zusammen. Sie drehte sich um und sah in ebenso erschrockene blaue Augen.

„Tut mir leid, ich wollte nicht…“, druckste er rum und drehte sich sofort um. Doch Betty hatte genau gesehen, wie er zuvor noch einen kurzen Blick auf ihren hässlichen Rudolfpulli erhaschte.

„Das ist eigentlich meine Kabine“, erklärte er, während er zur Wand schaute. Das erklärte auch die Hose, die mitten auf dem Boden der Kabine lag.

„Oh, das wusste ich nicht“, entschuldigte sich Betty.

„Keine Problem. Ich wollte nur kurz meine persönlichen Modeberaterin um Rat fragen und war deshalb nicht drin“, erläuterte er.

„Du musst mir nichts erklären. Ich gehe sofort in eine andere Kabine.“ Fast schon panisch packte Betty ihre ganzen Sachen aus der Kabine zusammen. Dabei versuchte sie mit ihren restlichen Pullovern ihren angezogen Rudolfpullover zu verdecken. Erst als sie aus der Kabine trat, traute der eigentliche Kabinenbesetzer sich umzudrehen. Betty erblickte nicht nur seine stechenden blauen Augen, sondern auch seine schönen, leicht nach hinten gegelten braunen Haaren. Kurz blieb Betty der Atem stehen.

„Also du solltest das Hemd wirklich mitnehmen, Calvin.“ Betty drehte sich zu der jungen Frauenstimme um und sah eine Frau, die ihm von seinem äußerlichen Erscheinungsbild ebenbürtig erschien. Anscheinend nicht nur seine Modeberaterin, dachte Betty sofort.

„Entschuldigung, nochmal“, sagte Betty mit geröteten Wangen und verschwand in der Kabine nebenan. Sie zog schnell den Rudolfpullover aus und verfrachtete das Ding auf die auszusortierende Seite.

Beim restlichen Anprobieren ließ sie sich extra viel Zeit. Beim dritten Pullover, hörte sie noch die Stimmen der beiden, die sich von den Kabinen entfernten. Erleichtert atmete Betty auf.

Insgesamt nahm sie drei Pullover mit und hing zwei Stück wieder zurück. An der Kasse begegnete sie den Beiden zu Bettys Erleichterung nicht wieder. Es waren noch 40 Tage bis Weihnachten.

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Weihnachten – Ein Fest fürs Leben (1)

Hemingway nannte bereits ein Buch Fiesta. Mit dem Titel bezog er sich zwar nicht auf das Weihnachtsfest, doch passt er zu dieser Jahreszeit wie kein anderer Titel. Das Fest der Lichter, das Fest der Geschenke, das Fest der Liebe. Nichts bereitete den meisten Menschen mehr Freude, wenn sie bunte Glitzerkugeln an einen Baum hängen und zu den Weihnachtsliedern mitschwingen. Nicht so Elisabeth, die von allen nur Betty genannt wurde. Sie sah in Weihnachten bloß eine Zeit, um sich von der eigenen Existenz abzulenken, ein Opfer des besinnungslosen Konsums zu werden und sich mit Glühwein zu besaufen. So war es auch nicht weiter verwunderlich, dass sie die Augen verdrehte, als ihre Mutter bereits Anfang November sie am Telefon nervte, es seien ja nur noch 52 Tage bis Heiligabend. Noch 52 Tage bis sie bei einem aufgezwungen Fest ihre Zeit aufopfern musste. Dabei war sie nicht mal getauft. Trotzdem bestand ihre Mutter darauf, die Tradition zu wahren und Weihnachten zu „feiern“, wie sie es schon ausdrückte. Was bedeutete, sich mit den Menschen, die sich als „Familie“ bezeichneten, an einen Tisch zu setzen. Schon alleine bei dem Gedanken daran, schüttelte sich Betty abwehrend. Ihre Mutter verabschiedete sich, wie am Ende jedes Telefonates, überschwänglich von ihr, als sei es irgendwas besonderes.

Betty ging nach dem Telefonat mit ihrer Mutter von Zuhause los, um eine Runde einzukaufen. Als sie durch den Supermarkt schlenderte, sah sie bereits die ganzen Weihnachtsüßigkeiten ausliegen. Vielleicht sollte man es gleich in das Fest des Diabetes umbenennen, dachte Betty genervt und nahm sich ein Paket Milch in den Einkaufswagen. Sie sah in ihren einsamen Single-Einkaufswagen, der, neben der Milch, aus einem Paket Eiern, einer Tiefkühlpizza und ganz vielen Reiswaffeln bestand. Sie hatte noch nie wirklich gekocht und sah es auch nicht ein, damit anzufangen, jetzt, wo sie das erste Mal alleine wohnte.

Die Kassierin sah sie mit einem aufgesetzten Lächeln an, als würde sie keinerlei Wertung über den Einkauf ihrer Kundin vornehmen. Was natürlich totaler Schwachsinn war. Schließlich schrie bereits ihr ganzer Einkauf nach Einsamkeit. Betty wusste, dass Menschen, die täglich abkassierten bereits anhand des Einkaufs ihrer Kunden, mehr als genug über den Menschen und das Leben dahinter erfuhren. Und ihrer enttarnte sie nicht nur als ein Single-Haushalt, sondern auch als durchaus genusslose Person. Nur die Pizza, die nichts weiter als eine Margaritha war, ließ zumindest den Hauch eines Genusses vermuten. Doch bloß nicht zu viel. Keinen Schnick Schnack. Ihre Ignoranz der an der Kasse platzierten Weihnachtssachen unterstrich dies. Die blinkende Ablenkung war für Betty nichts weiter als überflüssiger Kitsch, dessen Sinn ihr fremd war.

So fuhr sie mit ihrem Einkauf nach Hause und obwohl sie es nicht wollte, fing sie an die Tage bis Weihnachten zu zählen.

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Die Reise

Der Beginn (1)

Am Beginn einer jeden Reise steht das Bedürfnis nach einer Veränderung. Die Tristesse in der sich der Mensch selbst gefangen hält, um ihr anschließend durch eine Reise zu entgehen.

So erging es mir, als ich mit siebenundzwanzig Jahren das erste Mal einen Flughafen von Innen betrachtete. Die laute Hektik um mich herum, verunsicherte mich. Ich starrte auf das Flugticket in meiner Hand. Seychellen. Ein jahrelanger Traum, der nun Wirklichkeit werden sollte. Für insgesamt einen Monat im Voraus, hatte ich ein Haus mit Meerblick und Infinity Pool gebucht. Jeden Tag würde ich von dort aufs Meer blicken und sehen wie die Sonne untergeht. Die Vorstellung zauberte mir ein Lächeln aufs Gesicht. Seit Jahren wünschte ich mir eine tiefgreifende Veränderung und ich hatte jeden Cent zusammengekratzt, doch es reichte nie aus. Erst als mein Buch ein internationaler Bestseller wurde und zahlreiche Preise gewann, konnte ich mir meinen Traum vom Leben im Paradies verwirklichen. Meine Familie und meine beste Freundin begleiteten mich bis zur Flughafenhalle, von dort aus musste ich alleine weiter gehen. Ich würde sie vermissen. Schließlich hatte ich vor länger als einen Monat zu bleiben, auch wenn ich zuerst nur für einen Monatsaufenthalt gemietet hatte. Doch mein Traum war es ein Jahr dort zu leben.

Ich spürte die aufkommende Nervosität, während ich auf das Terminal zuging. Die Aufregung des Unbekannten. So lange verbrachte ich mein Leben an ein und demselben Ort. Ich ließ nie meine Blasen zum Platzen bringen. Die Angst schien mir immer ein Schritt voraus zu sein.

Diesmal war es anders. Der Durst zu leben war zu groß. Ich wollte es in vollen Zügen genießen. Oder in vollen Flügen. Ich wusste nicht, ob ich Angst vor dem Fliegen hatte, schließlich war ich noch nie geflogen. Irgendwas in mir sagte, es würde mir Spaß machen. So verließ ich schließlich nach dem Check-In die Sicherheitsschleuse und trat meine erste richtige Reise an.

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