Geburtstagsgrüße – Eine Kurzgeschichte

„Hast du je daran gedacht mich noch einmal zu lieben?“ Ihr sehnsuchtsvoller Blick ließ die Tiefe ihrer Verlustangst erahnen.

„Jeden Tag.“ Er nahm sie in seine Arme und drückte sie an sich. Ihr lief eine Träne die Wange herunter.

„Warum hast du dich dann nie gemeldet?“ Aus ihr kam ein Schluchzen. So viele Jahre hatte sie nichts von ihm gehört. Und jetzt stand er vor ihr und redete mit ihr, als seien die ganzen letzten Jahre nicht gewesen.

Statt zu antworten, hielt er sie weiter im Arm. Er konnte nicht antworten. Dafür hätte er die Antwort erkennen müssen und das konnte er nicht. Auch nicht, als er sie im Arm hielt.

Nachdem die Tränen versiegt waren, ging sie einen Schritt zurück.

„Ich muss gehen.“ Sie drehte sich schnell um, damit er nicht zu viel von ihrem verheulten Gesicht sehen konnte. Nachdem sie ein paar Schritte gegangen war, hielt sie inne und drehte sich um.

„Alles Gute zum Geburtstag“, sagte sie ihm noch zu. Dann verschwand sie um die Ecke.

Sie hatte seit Jahren kein Wort mit ihm gewechselt. Er war ihre erste große Liebe gewesen. Bis jetzt ihre einzige große Liebe. Als sie an diesem Tag in den Zoo fuhr, war ihr nicht bewusst, ihn hier begegnen zu würden. Einen Tag zuvor musste sie daran denken, dass er am nächsten Tag Geburtstag hatte. Doch sie wäre nie darauf gekommen, ihn an diesem Tag zu begegnen.

Und dann, nach Jahren des Schweigens, tauchte er auf und redete plötzlich mit ihr. Aus dem Nichts heraus. Sie stand am Tigergehege, als er von der Seite auftauchte und sich anfing mit ihr über die Streifen eines Tigers zu unterhalten. Es hatte sie unvermittelt getroffen.

Nach dem tränenreichen Gespräch ging sie alleine zu den Schneeleoparden, welcher direkt an der Scheibe saß. Sie war als Kind schon öfters hier gewesen, hatte dieses majestätische Geschöpf aber nie aus solcher Nähe gesehen. Sie ging näher dran und beobachtete ihn. Er sah sie direkt an. Beobachtete er sie?

Plötzlich tauchte er wieder von der Seite auf.

„Ich habe ihn noch nie so nah gesehen. Er ist wunderschön“, erklärte sie.

„Ja, das ist er“, stimmte er zu, schaute dabei aber nur sie an. Sie bemerkte seinen Blick von der Seite und sah ihm direkt in die Augen. Der Schneeleopard beobachtete sie beide.

„Es tut mir leid. Alles.“ Ohne einen Moment abzuwarten, ob sie die Entschuldigung annahm, legte er seine Hände um sie und küsste sie. Sie versteifte für einen Augenblick. Der Schock verwandelte sich schnell in ein Flattern und Zittern am ganzen Körper. Sie küsste ihn zurück.

In dem Moment wusste sie, dass all die Jahre nötig gewesen waren. Die Jahre haben sie auf genau auf diesen Moment vorbereitet.

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