Die letzten Tage des Timothys – Eine Kurzgeschichte

Es waren die letzten Tage des Timothys angebrochen. Aus ihnen gab es kein Zurück mehr. Timothy lebte schon lange an diesem Ort, als er die Botschaft bekam, dass nun alles ein Ende nehmen würde. Zumindest alles was ihn betraf.

Er nahm es mit Fassung auf. Was bei seinem Charakter hieß, dass er seine Teetasse gegen die Wand warf, bevor er sich schließlich resigniert auf seinem Sessel niederließ. Die Scherben lagen zerstreut auf den Boden, zwischen denen der zuvor heruntergefallene Telefonapparat lag. Er verweilte dort drei Stunden regungslos, ohne ein Wort zu sagen. Seine Frau Minnie traute sich nicht ihn anzusprechen. Nach einiger Zeit kam sie an und nahm tröstend seine Hand in die ihre, während sie vergebens versuchte, die richtigen Worten zu finden. Hatte er sie geliebt? Die Frage tauchte plötzlich in seinem Geist auf. Sie waren noch sehr jung gewesen, als sie im Sommer in der Provence geheiratet haben.

Die goldenen Tage glichen verblassten Erinnerungen. Der Schleier der Vergangenheit verdeckte ihre gegenseitige Liebe zueinander.

Nie hatte er ihr von seiner Affäre mit seiner Studentin erzählt. Nie von der hübschen Doktorandin, für die er sie fast verlassen hätte. Nie von diesem einen Tag, wo er fest entschlossen nach Hause gehen wollte, um Minnie zu verlassen, bevor er von seiner Affäre aufgehalten wurde und sie ihm sagte, sie hätte ein Angebot aus Neuseeland bekommen, welches sie annehmen würde. Danach hatte er sie nie wiedergesehen.

Nun saß Minnie vor ihm, während im Hintergrund das laute Ticken der Uhr zu hören war. Seine Zeit lief ab. Er stand auf, ging wortlos an Minnie vorbei, direkt auf die Tür zu und verließ das Haus, in dem er fast über vierzig Jahre lang wohnte. Er wusste bereits beim Rausgehen, dass er es nie wiedersehen würde. Es gab kein Zurück mehr.

Er begann seine letzte Reise, die auch zugleich seine erste richtige Reise war. Noch nie war er dem gefolgt, wonach sein Herz ihn rief. Angesichts seines Todes hatte er das Gefühl keine andere Wahl mehr zu haben. Er hatte es zu lange ignoriert. Etwas in ihm drängte nach Draußen. Endlich zu leben, denn Tod war er schon sein ganzes Leben über gewesen. Das erste Mal würde er leben. Kurz musste er an seine früheren Träume denken. Als er jung war, drängte alles in ihm Schriftsteller und Drehbuchautor zu werden. Er hatte diesen Traum, mit vielen seiner anderen Träume, begraben. Aus Angst. Die Angst sich seinem selbstausgesuchten Schicksal zu stellen. Er flüchtete sich lieber in seine gewohnten Bahnen des Alltags und unternahm keinen Versuch daraus auszubrechen.

Jetzt erst erkannte er es; die Angst hatte ihn gelähmt. Er war nie frei, sondern hat sich selbst in dem Käfig gefangen gehalten, statt ihn zu öffnen. Was hätte er schon zu verlieren gehabt? Sein Leben? Das hatte er schon in den Momenten verloren, in denen er ständig gegen sich selbst handelte.

Seine Angst ließ ihn vor seinem eigenen Leben fliehen und nun war es die Angst vor dem Tod, durch die er sich seinem Leben stellte.

Er ging die Straße entlang und das erste Mal in seinem Leben, kannte er nicht sein Ziel.

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